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Kanzler Kurz über "feste Trottel" und Schwerverbrecher – Heftige Oppositionskritik an Sobotkas Vorsitzführung

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Auf freundliche Fragen der ÖVP antwortete Kurz ausufernd. Dabei verging so viel Zeit, dass weder Neos noch Grüne zu Wort kamen


Grande Finale im parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss zum Thema "Mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Regierung" zwischen 2017 bis 2019. Am Donnerstagnachmittag wurde Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) befragt, ziemlich genau ein Jahr ist es her, seit er das erste Mal geladen wurde. Der Donnerstag war zunächst überhaupt als letzter Befragungstag vorgesehen, nun dürfte es aber – weil sich so viele Auskunftspersonen entschuldigt haben und nicht aufgetaucht sind – am 15. Juli eine allerletzte Befragungsrunde geben.

ÖVP-Anwalt Suppan Vertrauensperson

Kurz schlug unmittelbar vor seiner Befragung eine Reform des U-Ausschusses vor. Richter anstelle von Abgeordneten sollen demnach künftig die Fragen stellen. Das sei der Wahrheitsfindung dienlicher, so Kurz. Er mache sich Sorgen um den politischen Diskurs, im U-Ausschuss gebe es immer mehr offene Ablehnung, Hass und Skandalisierungsversuche.

Als Vertrauensperson brachte der Kanzler den ÖVP-Anwalt Werner Suppan mit, dieser ist auch Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes.

Absurdität und Trottel

Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl fragte Kurz zunächst zur berüchtigten SMS aus dem Jahr 2017 von Novomatic-CEO Harald Neumann an Gernot Blümel. Neumann wünschte darin einen Termin mit Außenminister Kurz und schrieb von "erstens Spende" und zweitens einem "Problem in Italien" wegen drohender Steuernachzahlungen des Glücksspielkonzerns. Kurz dazu im U-Ausschuss: "Hätte mir die Novomatic eine Spende angeboten, hätte ich dankend abgelehnt." Das sei aber ohnehin nicht passiert, er könne auch ausschließen, Novomatic-Gründer Johann Graf deswegen getroffen zu haben.

Einen Zusammenhang zwischen Spenden der Uniqa-Tochter Premiquamed an die ÖVP und der türkis-blauen Änderung des Privatkliniken-Gesetzes, von der auch die Premiquamed profitierte, stellte Kurz in Abrede. Er könne sich hier keinen Konnex vorstellen. Überhaupt sei es – sagte Kurz zum Thema Gesetzeskauf – "an Absurdität gar nicht zu überbieten", dass jemand bereit wäre, sich strafbar zu machen, damit die ÖVP eine Spende bekommt. Da müsse einer "ein fester Trottel sein", um dafür womöglich sogar ins Gefängnis zu gehen.

Durch sehr kurze – freilich eher unkritische – Fragen, auf die Kurz mit bisweilen ausufernden Antworten replizierte, konnte die ÖVP Zeit für den Kanzler schinden, weil die anderen Fraktionen dadurch weniger zu Wort kamen. Die erste Fragerunde der Türkisen dauerte daher rund anderthalb Stunden, insgesamt sind vier Stunden für alle Fraktionen vorgesehen. So schilderte Kurz lang und breit, aber ohne Neuigkeitswert, was nach Publikwerden des Ibiza-Videos in ihm und der Regierung vorgegangen sei.

Zu Postenbesetzungen erklärte er, froh zu sein, wenn Minister in ihrer Zuständigkeit allein entscheiden, ohne ihn ständig zu kontaktieren: "Je mehr man sich fernhalten kann, umso besser."

Disput um anonyme Anzeige gegen Kurz

Vor der Sitzung erklärten die Fraktionsführer der fünf Parteien, wie sie den Termin mit dem Kanzler anlegen wollten. Der SPÖ-Mandatar Krainer sagte, man werde Kurz als "Oberhaupt der türkisen Familie" auf den "Staat im Staat" ansprechen, den die ÖVP via Kanzleramtskabinett aufgebaut habe. Im letzten Jahr habe sich im U-Ausschuss immer mehr herauskristallisiert, dass die ÖVP überall die Fäden gezogen habe und die FPÖ an Skandalen in der türkis-blauen Regierungszeit übertreffe.

Zudem berichtete Krainer von einer neuen, dem U-Ausschuss zugetragenen, anonymen Anzeige gegen Kurz, die auf den Chat Bezug nimmt, laut dem Thomas Schmid mit Zustimmung des Kanzlers wegen Steuerregelungen politischen Druck auf die katholische Kirche ausüben sollte. Krainer glaubt, die Anzeige stamme aus der ÖVP, um Kurz einen Anlass zu Entschlagungen bei der Befragung zu bieten.

ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger widersprach heftig. Weder er noch sonst jemand aus der ÖVP habe die Anzeige verfasst. Wobei Hanger einerseits behauptete, die Anzeige sei inhaltlich "schwachsinnig", andererseits aber meinte, er wisse nicht genau, was drinnen steht. Man habe die Information über die Anzeige erst Donnerstagmittag erhalten.

Entschlagung zu Kirchenfrage

Nach längeren Geschäftsordnungsdebatten gegen Ende von Kurz' Befragung durfte Krainer dann eine Frage zu den Kirchen-Chats stellen. "Hat das Kanzleramt damals eine Liste zu den Steuerprivilegien aller Religionsgemeinschaften erstellen lassen?", wollte der rote Abgeordnete wissen. Tatsächlich entschlug sich Kurz aber sogleich unter Berufung auf die anonyme Anzeige, die den Vorwurf der versuchten Nötigung und Erpressung enthält. Verfahrensrichter Pöschl befand die Entschlagung für zulässig, weil das Justizministerium in einem Schreiben das Vorliegen der besagten Anzeige bestätigt habe.

Verdacht der Falschaussage

Rückblick: In seiner ersten Befragung am 24. Juni des Vorjahres hat Kurz engagiert die Regierungszusammenarbeit von ÖVP und FPÖ beschrieben. Allerdings hat er sich im Zusammenhang mit seiner Rolle bei der Bestellung von Schmid zum Alleinvorstand der Öbag Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zugezogen. Kurz habe seine Involvierung falsch dargestellt, so der sinngemäße Vorwurf, er habe damit mehr zu tun gehabt als angegeben. Kurz bestreitet den Vorwurf, es gilt die Unschuldsvermutung.

Am Donnerstag sagte Kurz, er sei sich bei der damaligen Befragung "wie ein Schwerverbrecher" vorgekommen, den die Oppositionsabgeordneten überführen wollten. Sein Vorsatz sei es gewesen, die Wahrheit zu sagen, doch aufgeheizt durch emotionale Debatten habe er bisweilen "zu schnell" und flapsig geantwortet.

DER STANDARD hat live berichtet. (Theo Anders, Renate Graber, 1.7.2021)