Parlament
Neue Missbrauchs-Regelung beschlossen
Strafbestimmung ohne Anhörung von Experten - Scharfe Kritik der Opposition
Wien - Mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ hat der Nationalrat
Mittwoch Nacht nach langjähriger Diskussion über die Diskriminierung
Homosexueller den zuletzt auch vom Verfassungsgerichtshof (VfGH)
aufgehobenen Paragrafen 209 Strafgesetzbuch abgeschafft. Dies aber
nicht ersatzlos: ÖVP und FPÖ sahen "Lücken" im strafrechtlichen
Schutz Jugendlicher vor Missbrauch und beschlossen deshalb - unter
scharfer Kritik der Opposition - im Schnellverfahren eine
Nachfolgeregelung.Neue Altersgrenzen: 16 und 18 Jahre
Der neue Par. 207 b "Missbrauch von Jugendlichen" bringt
geschlechts- und beziehungsneutrale Strafbestimmungen mit zwei neuen
Altersgrenzen, nämlich 16 und 18 Jahre. Mit bis zu drei Jahren
Freiheitsstrafe können Erwachsene bestraft werden, die mit unter
18-Jährigen Sex gegen Entgelt haben bzw. eine Zwangslage unter
16-Jähriger ausnutzen. Das Ausnutzen mangelnder Reife bis zu
16-Jähriger durch altersbedingte Überlegenheit ist mit bis zu einem
Jahr Haftstrafe bedroht. In Kraft treten soll die Regelung sofort mit
der Kundmachung nach dem Beschluss des Bundesrates am 25. Juli.
Strafbestimmung ohne Anhörung von Experten
Die Opposition kritisierte, dass ohne jede Anhörung von Experten
eine Strafbestimmung geschaffen werde, die massiv in das Leben
Jugendlicher eingreife. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim appellierte
an die Koalition, die aufgelöste Sexualstrafrechts-Arbeitsgruppe
wieder einzusetzen und bis zum Herbst einen vernünftigen Vorschlag
für Schutzregelungen gemeinsam mit Experten zu beraten. Er warf
ÖVP-Klubobmann Andreas Khol vor, sich hier weiter als "Sittenrichter"
zu betätigen.
Laien "deren einzige Qualifikation es ist, dass sie auch einmal Jugendliche waren"
Nur Laie, "deren einzige Qualifikation es ist, dass sie auch
einmal Jugendliche waren", hätten über den neuen Paragrafen
verhandelt - und Richter mit ähnlicher Qualifikation würden künftig
über mangelnde Reife Jugendlicher entscheiden, kritisierte die Grüne
Justizsprecherin Terezija Stoisits. Wirkliche Qualifikation hätten
Jugendpsychologen oder Jugendschutzeinrichtungen. Stoisits
Schlussfolgerung: "Das ist Ausdruck eines homophoben Bewusstseins
Einzelner in diesen Parteien. Das Unvermögen Einzelner, damit fertig
zu werden, dass der verfassungswidrige Par. 209 aus dem Strafrecht
verschwindet."
Par. 207 b: Ersatzregelung soll "begleitende Maßnahme" sein
Der Par. 207 b sei keine Ersatzregelung, sondern eine "begleitende
Maßnahme" zum Schutz Jugendlicher vor Missbrauch, sagte
Justizminister Dieter Böhmdorfer (F). Die Eile der Beschlussfassung
erklärte er damit, dass es anklagereife Strafanträge, U- und
Strafhäftlinge gebe, die man mit der Aufhebung des Par. 209 enthaften
könne - "und wir tun das auch".
Auch die Justizsprecher von ÖVP und FPÖ wiesen die Kritik zurück:
Offenbar wäre es SPÖ und Grünen lieber, "man würde monatelang
diskutieren und sie könnte so tun, als wäre eine Staatsaffäre im
Gange", sagte Harald Ofner (F). Es stimme, dass "Liebe keinen Richter
braucht, aber Missbrauch gehört mit dem Strafrecht bekämpft", meinte
Maria Fekter (V): "Wenn Sie Missbrauch tolerieren, ist das den Opfern
gegenüber heuchlerische Parteitaktik."
Die Par. 209-Folgeregelung wurde als Abänderungsantrag an ein
großes Strafrechtsänderungsgesetz angehängt, das mit 1. Oktober in
Kraft treten wird. (APA)