Graz/Wien - Der deutsche Wirtschaftsexperte Bert Rürup rät dringend von der geplanten Steuerreform ab. "In der gegenwärtigen Situation ist das nicht zu verantworten", sagte Rürup in Graz am Rande einer Veranstaltung zum neuen Pensions- und Besoldungsrecht des Landes. Erst am Donnerstag hatte sich der Vorsitzende des Staatsschuldenausschusses, Helmut Frisch, gegen eine Steuerreform ausgesprochen. Dafür fehle der finanzpolitische Spielraum.

Die Regierung in Wien wäre nach Meinung Rürups gut beraten, abzuwarten und den Konsolidierungsprozess voranzutreiben. Die Steuerreform trotzdem jetzt durchzuziehen, wäre "Populismus", sagte Rürup.

Rürup, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage in Deutschland, äußerte sich auch erneut kritisch zur Abfertigung neu, die zwar im Prinzip richtig sei, aber einen "Konstruktionsfehler" aufweise: Mit der vorzeitigen Auszahlungsmöglichkeit werde das Kapital der Pensionsvorsorge entzogen.

Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, der prinzipiell für eine Steuerreform ist, wird im Ton skeptischer. Am Rande einer Veranstaltung zum Thema "Manager pro EU-Erweiterung", sagte der Minister: "Es wäre töricht, von der Linie des Nulldefizits abzugehen. Eine Steuerreform auf Kosten eines ausgeglichenen Staatshaushaltes wollen auch die Österreicher nicht." Bartenstein lehnt eine "Steuerreform auf Pump", die in ein "nächstes Sparpaket" münden würde, ab.

Keinen Zweifel ließen die Klubchefs von ÖVP und FPÖ, Andreas Khol und Peter Westenthaler, am Freitag daran, dass die Steuerreform 2003 kommen werde. Beide nannten sie als Schwerpunkt der Herbstarbeit. "Wir wissen, dass sie kommt", erarbeitet werden müssten aber noch Ausmaß und Zeitplan, sagte Khol. Von den Warnungen vieler namhafter Experten vor einer Steuerreform 2003 zeigten sich die Koalitions-Klubchefs wenig beeindruckt.

Der Grüne Wirtschaftssprecher Werner Kogler meinte hingegen zu der Diskussion: "Steuerreform und Nulldefizit sind nur unter Durchsetzung neuer Sparpakete nach den Wahlen unter einen Hut zu bringen, dies bestätigen die Angaben sämtlicher Experten, die sich bis jetzt geäußert haben. Nur Khol und Westenthaler fantasieren noch vom Gegenteil". (APA, miba/DER STANDARD, Printausgabe, 13.7.2002)