Wien - Visite wie immer: täglich um halb neun im Otto-Wagner-Spital. Diesmal geht aber eine Polizistin mit in die Zimmer der Akutstation der Psychiatrischen Abteilung.Michaela Halbauer wird so jene Patienten und Patientinnen kennen lernen, die sie möglicherweise "in ein paar Tagen draußen wieder aufgreift". Und um zu erfahren, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen "keine Deppen sind". Oft höre sie das von unsensiblen Kollegen. Etliche machen dieser Tage aber auch freiwillig ihren Schnuppertag in einer Psychiatrischen Abteilung. Halbauer erzählt ruhig, während sie dem Stationsteam an ihrem Praxistag durch die Zimmer folgt. Zuerst habe sie das Seminar an der Sicherheitsakademie der Polizei besucht, in dem sie zuerst einmal theoretisch gehört hat, wie man mit psychisch Kranken umgeht. "Aber Rezepte kann man dafür nicht lernen", schüttelt sie den Kopf, "aus einer 08/15-Situation kann weiß Gott was werden." So allerhand kommt ihr unter, wenn sie am Bezirkspolizeikommissariat Simmering Dienst hat. Kürzlich habe eine Frau am Telefon um Hilfe gerufen, "weil der Vater daheim tobt und überall Splitter liegen". Über eine Stunde habe sie dann mit dem Tobenden geredet - "bis er gesagt hat, "ja, er fährt mit uns mit" zur Behandlung. Das war zum Glück erst nach ihrer Schulung. "An manchen Tagen geht es Schlag auf Schlag", Lennart Widén, seit vielen Jahren Pfleger hier, hat ebenfalls schon viel erlebt. Bei der heutigen Visite und in der Aufnahme geht es ruhig zu. Widén hat also Zeit, der Polizistin mehr zu erzählen. "Sieben- bis achthundert Aufnahmen haben wir im Jahr." Die 20 Betten der Station stünden für jene zur Verfügung, bei denen Psychosen, Angstzustände, Depressionen akut behandelt werden müssten. Meistens blieben die Patienten nur für wenige Tage. Entweder "können wir sie dann wieder nach Hause entlassen", oder sie würden weitere Hilfe und Therapie in Anspruch nehmen. Einige Patienten sind schon gute Bekannte. Sie kommen immer wieder mal für kurze Zeit auf die Station. Um - wenn es ihr Zustand erlaubt - bald wieder nach Hause gebracht zu werden. Das ist das Prinzip einer offenen Station. Reden verbindet Nach der Visite und der Tagesbesprechung gönnen sich die beiden Kaffee. Dann macht sich Michaela Halbauer auf in Richtung Gartengeschoß. Sie versucht, mit ein paar Patienten im Spielzimmer ins Gespräch zu kommen. Sehr freudig nimmt eine zunächst abwesend wirkende Frau das Angebot zum Tratsch an. Und der Herr gegenüber, der so bunte Mandalas malt, hebt an, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Die Polizeibeamtin merkt, "hier ist viel Fingerspitzengefühl" gefragt. Dieses wird sie auch weiterhin im Dienst brauchen. Am Simmeringer Kommissariat. (Andrea Waldbrunner/ DER STANDARD, Printausgabe, 13./14. 7. 2002)