"Das Prinzip aller Dinge ist das Wasser; aus Wasser ist alles, und in Wasser kehrt alles zurück." An diesen Satz des griechischen Naturphilosophen Thales von Milet erinnerten sich geschäftstüchtige Fremdenverkehrsleute in Vorarlberg, als es darum ging, Urlaubsgästen naturnahe Aktivitäten schmackhaft zu machen.

"Wege zum Wasser" heißt jetzt eine Broschüre der Vorarlberger Fremdenverkehrswerbung, die neunzehn Wege zum Wasser auflistet, darunter Wanderungen zu den Dämmen, Stauseen und Jugendstil-Kraftwerksbauten an der Bregenzer Ache.

Der überraschendste und kurioseste "Weg zum Wasser" ist aber der zum "Quelltuff" in Lingenau im Bregenzerwald. Tuff nennt man, laut dtv-Lexikon, das die Dinge kurz und bündig erklärt, "Absätze von Calciumkarbonat oder Kieselsäure aus Quellen". Das heißt, kalk- übersättigte Quellwässer scheiden bei Luftkontakt Kalksinter ab. Moose und Algen entziehen beim Quellaustritt dem Wasser Kohlendioxid und verstärken damit den Ausfall und die Ablagerung von Kalk.

Der Lingenauer Quelltuffhang ist eine einzigartige Kalksinterbildung, eine der ausgeprägtesten nördlich der Alpen - im Süden kennt man solche an slowenischen und kroatischen Bächen, wo sie meterhohe Abfälle bilden - und wurde daher 1998 zum Naturdenkmal erklärt.

Ausgangspunkt der eineinhalbstündigen Wanderung durch den Bregenzerwälder Quelltuffhang ist die St. Anna-Kapelle, ein barockes Architekturjuwel aus dem Jahr 1722 am westlichen Ortsrand von Lingenau (Parkplatz beim Hallenbad). Von hier führt eine nach dem Vorarlberger Wanderwegesystem als leicht begehbarer Spazier- und Wanderweg gelb-weiß markierte schmale Straße, die sich später zum Pfad verengt, in Richtung Süden.

Nach dem letzten Gehöft fällt der Weg steil ab in den Tobel der Subersach, eines tief in den Bregenzerwald eingeschnittenen Zubringers zur Bregenzer Ache. An den Steilwänden dieses Tobels entspringen die Tuffquellen. Ihre Ablagerungen bringen baldachin-, pilz- oder vorhangförmige Gebilde hervor, die oft in zitzenartigen Verformungen enden, um sich weiter unten in quellenden Warzen fortzusetzen.

Eisenoxide färben das Ablagerungsgestein honiggelb bis rostrot, das Wetter kann die Farben verändern, bei Regen intensiviert sich der Kontrast zwischen dem erdigen Tuff und dem satten Grün der Vegetation schlagartig. Bei seinem Austritt aus dem Berg versintert das kalkige Wasser alles, was sich ihm in den Weg stellt. Baumblätter, Pflanzen und Äste von umgefallenen Bäumen werden im Nu vom Kalk überkrustet.

Der Weg durch den Lingenauer Quelltuffhang ist als Lehrpfad angelegt. Fünf Tafeln erklären Geologie, Vegetation und Lokalgeschichtliches. Das Vorkommen des nur zehn Millimeter großen Flohkrebses ist ein Hinweis auf gute Wasserqualität, schleimige Algenwatten deuten hingegen auf Nährstoffanreicherungen im Wasser. Nach mehr als einer Stunde zurückgekehrt zur St. Anna-Kapelle bei Lingenau, sieht man diese mit anderen Augen. Sie wurde nämlich zur Gänze aus dem leichten, porösen und einfach zu bearbeitenden Kalktuff erbaut, der noch bis in die Fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts als Baumaterial, vor allem für Stallbauten, abgebaut wurde. (Horst Christoph/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 07. 2002)

Tipps

Anfahrt
Nach Bregenz oder Dornbirn mit Bahn oder über Autobahn. Mit PKW nach Lingenau, mit Bus Landbuslinie 25 Bregenz - Egg oder Landbuslinie 40 Dornbirn - Warth mit Umsteigen auf Linie 25 in Egg.

Literatur Wege zum Wasser. 19 Wanderungen in Vorarlberg. Vorarlberg Tourismus. Quelltuffhang. Lehrpfad Lingenau. Tourismus-Verein und Gemeinde Lingenau. Wandern im Bregenzerwald 1. Karte 1 : 40.000. Bregenzerwald Tourismus GmbH, Egg.