Nicht nur, dass der abtrünnige Helmut Lang nach mehr als zwei Jahren zu den Pariser Männershows Ende Juni zurückkehrte, auch die gesamte Modeprominenz war dort versammelt und Prada-Chef Patrizio Bertelli extra aus Mailand angereist. Gleichzeitig konnte man eine weitere Runde im Schlagabtausch der Luxuskonzerne LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy, mit Dior und Louis Vuitton) und Gucci (Yves Saint Laurent) erwarten. Dieser verlief eher zahm und ging zugunsten des Ersteren aus. Worüber sich LVMH-Chef Bernard Arnault, Ex-YSL-Chef Pierre Bergé und Karl Lagerfeld sichtlich freuten. Schon nach den ersten Shows war klar: Der kommende Sommer wird schwarz oder zumindest dunkel. Der Dominanz der dunklen Töne standen nur wenig Farbe und Weiß gegenüber. Auf den Laufstegen wurden zudem Exkurse über die dunklen Seiten der Männermode geführt. Von der klassischen Anzug-Smoking-Frack-Geschichte über Gothic, Punk und Heavy-Metal-Attitüden bis zu Uniform- bzw. Anarchoschwarz reichten die Themen. Ohne Anzug läuft nichts Eine weitere Botschaft: Ohne Anzug läuft im Sommer 2003 nichts. Eine Reihe junger Männermodemacher versuchte dazu Gegenposition zu beziehen und wurde beim Retrostil der 80er-Jahre und des New Wave fündig. Ein durchaus gefährliches Terrain für Männer: Mit Föhnwelle, Pastelltönen, kasten- und trapezförmigen Schnitten, blusigen Hemden und tief dekolletierten Pullis gibt man(n) sich schnell der Lächerlichkeit preis. Helmut Lang Helmut Lang schickte unter dem Titel "Imperfect Perfection" und zur Musik von Peter Kruder eine rasante Parade von klassischen Lang-Stücken durch einen weißen Galerieraum: Kurzmäntel mit Hosen, Anzüge in dunklem (schwarz und marine) sowie weißem Woll- und Baumwollgabardine und Twill zusammen mit weißen oder neonfarben bedruckten T-Shirts. Von der Grundsilhouette nichts Neues, aber mit einer markanten Verdichtung an Details, die seinen coolen, unprätentiösen Großstadtlook radikal frisch und "perfect" wirken ließ. Für die "imperfection" sorgten Bandage- oder Bondageeffekte auf T-Shirts und nackter Haut und dekonstruierte Poloshirts oder T-Shirt-Fragmente. Wie Skelette blieben Kragen, Knopfleisten und Bündchen über und wurden ton sur ton oder im harten Kontrast über Hemden, Jerseys und nackter Haut getragen. Marc Jacobs für Vuitton Marc Jacobs präzisierte sein Männerbild für Louis Vuitton. Sportliche und reisetaugliche Outfits aus hoch qualitativen Materialien, sozusagen die ultimative Camper-, Trekking- und Hikerausrüstung, veredelt mit dem LV-Logo. Das Formenvokabular bestand aus losen, lang geschnittenen Sakkos, Segelleinenjacken und Windbreakern, Multipocket-Pilotenhosen, Tanktops und leichten Pullis. Alles in ausgewaschenem Blau, Mauve, Orange, hellen Braun- und Grautönen. Hedi Slimane für Dior Hedi Slimane zelebrierte seine Kollektion für Dior mit einer Hightech-Licht- und Laserinstallation. Der erste Teil eine Variation der neuen Dior-Ausstattung für David Bowie: extrem weite Hosen, tunikaartige Oberteile mit jeder Menge Taschen, zusammengehalten von Metallgürteln oder Ketten, dazu knielange Seidenschals - und alles in Schwarz. Klassischer die schmalen Silhouetten, Frack und Cutaway-artige Sakkos und Kurzmäntel zu tief sitzenden, engen Hosen. Neben Schwarz, grauem Satin und schwarzem Leder oft mit Weiß kombiniert, zeigte er in Nacht- und Stahlblau changierende oder irisierende Seidenanzüge. Raf Simons Raf Simons, zurzeit der visionärste Designer der Männermode, stellte in einer kompakten und konzentrierten Show 30 vorwiegend schwarze Outfits auf ein Podest aus verschrotteten Cola- und Bierdosen. Unter dem Titel "Consumed" wagte er eine Auseinandersetzung mit der globalen Marken- und Labelkultur. New Kids Inc. war da auf T-Shirts gedruckt und Simons ergänzte: "Die junge Generation nimmt diese Realität als Basis, um sich ihre eigenen flexiblen Persönlichkeitsmodelle zu erstellen." Neben superschmal geschnittenen Anzugs- und Mantel-Hosen-Kombinationen in Uniformmanier zeigte er bedrohliche Survival-Streetstyle-Outfits mit übergroßen Bomberjackets, Bondage-Parker, vermummende Kapuzensweater zu superweiten Hosen. Tom Ford für Yves Saint Laurent Das hartnäckigste Anzugsmanifest kam von Tom Ford für Yves Saint Laurent, oder wie Suzy Menkes es in der International Herald Tribune formulierte: "Wear a suit or wear nothing." Die breitschultrig geschnittenen Sakkos mit schmaler Taille und weiten, hoch angesetzten Bundfaltenhosen erinnerten an den New-Deal- und Mafia-Look der späten 30er-Jahre. Manchmal wurden die meist doppelreihigen Seidenanzüge von einem Trenchcoat darüber oder Military-Shorts darunter unterbrochen. Tom Ford komplettierte seine Anzüge mit Tanktops, Seidenpolos und Seidenhemden. Eine glamouröse Scarface-Inszenierung, an der Clark Gable oder Cary Grant ihre Freude gehabt hätten. Yohji Yamamoto "Back to the Roots" war das Motto für Yohji Yamamoto. Das 20-jährige Bestehen seines Labels feierte er mit einer Art Retrospektive. Breit und gerade geschnittene Sakkos und Mäntel, legere Bundfaltenhosen wurden von distinguierten 40-Jährigen vorgeführt. Schwarz, Anthrazit und Marine dominierten die Farbgebung und klassische Woll- und Baumwollstoffe bestimmten das Material. Das perfekte Outfit für Galeristen und Kuratoren. Jean-Paul Gaultier Jean-Paul Gaultier wird es nicht müde, das Publikum schocken zu wollen. Nachdem die ersten drei Outfits eine "Verträumte Gärtner in Weiß"-Kollektion vermuten ließen, schickte er zu Hardrockmusik und Gothic-Styling Marilyn-Manson-und Kiss-Outfits auf den Laufsteg. Dem folgten Torerokostüme in Jeansstoff und diesen wiederum der Matrosenlook. Doch das Verwirrspiel hatte System: Genderblending, Angel and Evil, Gut und Böse. Dries Van Noten Dries Van Notens Kollektion war von Ethno-Themen und romantischer Clochard-Atmosphäre bestimmt. Weite Jacken und Sakkos, bodenscheue Hosen, knittrige Stoffe in Erdtönen, ausgewaschene Nadelstreife, luftige Riemensandalen und Hippie-Accessoires wie gemusterte Schals und bunter Kettenschmuck erzeugten ein angenehm schlampiges Männerbild. Neben Hussein Chalayan waren die Österreicher Wendy & Jim erstmals mit Männermode in Paris vertreten. Sie präsentierten ihre konzeptionelle Kollektion im Showroom Romeo, die Readymades mit Ready-to-wear verband. So wurden z. B. Fotos von abgepackten Hemden auf Hemden und T-Shirts gedruckt. (derStandard/rondo/19/7/02)