Ennio Morricones "Voci dal silenzio" wurde beim Ravenna Festival uraufgeführt
Paul Kruntorad
,
Ravenna - Das Schlusskonzert des Ravenna Festivals zelebrierte Maestro Riccardo Muti in New York. Denn das Festival, das Mutis Ehefrau Maria Cristina Mazzavillani in Programmdichte und Qualität zu einem der führenden Europas gemacht hat, stand im Zeichen der Solidarität Italiens mit den USA. Bob Dylan eröffnete das Festival, aus New York kam Bernsteins
West Side Story
in der Originalinszenierung von Jerome Robbins. Höhepunkt des Festivals war dann die Uraufführung eines Auftragswerks von Ennio Morricone,
Voci dal silenzio
("Stimmen aus der Stille").
Berio, Nono, Sciarrini sind die eine Seite der Neuen Musik Italiens, Morricone und Nino Rota die andere. Beide stehen gleichsam im Schatten ihres Welterfolgs. Morricone wurde 1967 mit dem Soundtrack zu Sergio Leones Western
Spiel mir das Lied vom Tod
berühmt, Rota schon früher mit seiner Musik zu Fellinis Filmen. Beide haben einen festen Platz im Programm des Ravenna-Festivals.
Muti, der sich in Ravenna - und nur hier - auch als Pianist präsentiert, begleitet am Klavier die Bläserformation
Ensemble Wien-Berlin
. Im Programm stand außer selten gespielten Bläserquintetten Beethovens und Rossinis auch Rotas Hommage an das Castel del Monte, das süditalienische Jagdschloss von Kaiser Friedrich II.
Morricone erhielt den Auftrag vom Festival unmittelbar nach dem Blutbad vom 11. September und wollte ursprünglich an Umberto Ecos Leitartikel aus
La Repubblica
anknüpfen, wählte dann, weil Eco mit der beabsichtigen Zerlegung in einzelne Silben nicht einverstanden war, ein Gedicht,
Der Regenbogen
, von dem südafrikanischen Poeten Richard Rive. Den Silben des Titels ordnet er Sektionen des Chores zu, die wie Instrumente den einzelnen Orchestersektionen gleichwertig sind.
Trompetensoli punktuieren eine allmählich anschwellende, rhythmisch subtil gegliederte Klangmasse, die mit melismatischen Zitaten angereichert ist, mit dem Miserere aus Ronald Joffes Film
The Mission
etwa. Die eingespielten O-Töne, Aufnahmen von Straßenszenen aus aller Welt, Konversationsbruchstücke in vielen Sprachen, schaffen eine zusätzliche Bedeutungsebene: Stimmen der Sprachlosen, der namenlosen Opfer.
Die Uraufführung, die Muti mit dem Orchester und dem Chor der Mailänder Scala einstudiert hat, wurde in Ravenna lange akklamiert. Zum Schlusskonzert in New York flogen dann die Vereinten Musiker Europas ein, Mitglieder von 18 europäischen Spitzenorchestern, um mit dem New York Philharmonic Orchestra, dem Chor der Mailänder Scala und Solisten wie Barbara Frittoli und Giuseppe Sabatini ein symbolisches Programm zu absolvieren: Beethovens
Eroica
, der Gefangenenchor aus Verdis
Nabuc
co, und "Alles glitzert" aus Rossinis
Wilhelm Tell.
(DER STANDARD, Printausgabe, 24.7.2002)
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