Inland
Gusenbauer blitzt erneut ab
SP-Chef bekräftigte Forderung nach Einführung des Mehrheitswahlrechts - Grüne, ÖVP und FPÖ dagegen
Wien - Trotz der Kritik aus allen anderen Parteien und auch
aus Teilen der eigenen Partei bleibt der SPÖ-Bundespartvorsitzende
Alfred Gusenbauer bei seinem Vorschlag, das derzeitige
Verhältniswahlrecht in Richtung Mehrheitswahlrecht umzubauen.
Gusenbauer im APA-Interview wörtlich: "Ich als Anwalt der direkten
Bürgerinteressen sage, es ist besser, die Bürger entscheiden direkt
über eine Regierung, als über den Umweg von Parteienverhandlungen.""Parteipolitische Vielfalt" mit "Sytem der klaren Mehrheiten" kombinieren
Der SPÖ-Chef ist überzeugt, "es lässt sich parteipolitische
Vielfalt kombinieren mit einem System, das zu einer klaren
Regierungsbildung und zu einer klaren Mehrheitsfähigkeit führt. Ich
würde das für wichtig erachten auf europäischer Ebene und daher auch
für Österreich.". Gusenbauers Vorschlag ist Teil eines
Zehn-Punkte-Programms, das er im Auftrag der europäischen
Sozialdemokraten im Kampf gegen den Rechtspopulismus derzeit
ausarbeitet.
Beim Mehrheitswahlrecht - das in unterschiedlichen Ausprägungen in
Großbritannien, in Italien, Frankreich und Spanien bereits existiert
- erhält die stimmenstärkste Partei eine Mehrheit im Parlament.
"Der Punkt ist der", so Gusenbauer: "Ich bin der Meinung, dass der
einzelne Bürger einen direkten Einfluss darauf bekommen soll, wer ihn
regiert. Das ist das Grundprinzip der Demokratie und ich glaube, vor
dieser Herausforderung stehen wir in Europa. Eine Möglichkeit, den
direkten Einfluss der Bürger auf die Regierung zu erhöhen, ist ein
mehrheitsorientiertes Wahlrecht." Derzeit hätten die Leute den
Eindruck, dass sie zwar zur Wahl gehen, "aber keinen Einfluss darauf
haben, wer sie letztendlich regiert".
"Keine gepflegte politische Diskussionskultur"
Die Kritik an seinem Vorstoß überrascht Gusenbauer nach eigenen
Angaben nicht: "Es gibt ja in Österreich keine gepflegte politische
Diskussionskultur." Seine Analyse der Situation: "Wir befinden uns in
einer neuen Situation in Europa, wir müssen uns mit den neuen
Gegebenheiten auseinander setzen und da ist es die Aufgabe der
politisch Verantwortlichen, Vorschläge zu formulieren, wie man den
Einfluss des einzelnen Bürgers auf das politische System verbessern
kann. Hier stelle ich mich gerne einer offenen Diskussion - in der
eigenen Partei und auch darüber hinaus gehend."
Den Widerstand erklärt Gusenbauer auch damit, dass die politischen
Parteien nicht bereit seien, "ihr Vorrecht, Regierungen zu bilden,
aufzugeben".
Grüne: "SPÖ will mit allen Mitteln in die Regierung"
Die Grünen weisen den neuerlichen Vorstoß von SP-Chef
Alfred Gusenbauer für ein Mehrheitswahlrecht entschieden zurück.
Diese Idee diene nur dazu, "die SPÖ mit allen Mitteln in die
Regierung zu bringen", meinte Bundesgeschäftsführer Franz Floss in
einer Aussendung. Auch sei der Gusenbauer-Vorschlag ein ungeeignetes
Mittel im Kampf gegen den Rechtspopulismus. Gerade dieses Motiv hatte
der SP-Vorsitzende aber für seinen Vorstoß genannt.
Statt die Menschen vermehrt zur Wahlurne zu bringen, erreiche
Gusenbauer genau das Gegenteil, verwies der Bundesgeschäftsführer auf
das Beispiel USA mit der dort "extrem niedrigen" Wahlbeteiligung:
"Erstaunlich ist, wie der europapolitisch so versierte SPÖ-Chef auf
so eine Schnapsidee kommen kann", wundert sich Floss.
ÖVP kritisiert "Repräsentationsmängel" des Mehrheitssystems
Auch in der ÖVP hält man nichts vom neuerlichen Vorstoß
von SP-Chef Alfred Gusenbauer. Dieser Vorschlag widerspreche dem
Konzept der Verfassung, weil er sich gegen kleinere Parteien richte,
erklärte Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat am Freitag in einer
Aussendung: "Wir wollen, dass kleinere Parteien im Nationalrat
mitdiskutieren und nicht auf der Straße demonstrieren."
Das Mehrheitswahlrecht würde dazu führen, dass zum Beispiel Tirol
keine Freiheitlichen und keine Grünen Abgeordneten in den Nationalrat
entsenden könnte, erläuterte die Generalsekretärin. Dies seien
massive Repräsentationsmängel, "die sich mit unserem
Demokratieverständnis nicht vereinbaren lassen", meinte Rauch-Kallat.
"Klare Absage" von der FPÖ
Eine "klare Absage" holte sich Gusenbauer auch von den Freiheitlichen. Generalsekretär Karl Schweitzer wertete Gusenbauers
Vorschlag als "Anschlag auf das demokratische System und auf die
Verfassung". In letzter Konsequenz forciere die SPÖ damit ein
Zwei-Parteien-System, das kleineren Parteien keine Chance lasse:
"Damit hat Gusenbauer aber die Grundprinzipien unserer Republik nicht
verstanden".
Mit der FPÖ werde es jedenfalls keine derartige Änderung des
Wahlrechts geben, kündigte Schweitzer an. Es gebe keinerlei Grund, am
Verhältniswahlrecht zu rütteln. Österreich habe ein hervorragendes
Wahlsystem.(APA)