Wien/New York - In der Regel sind es Wohnzimmer, die Arno Gisinger im Panoramaformat ablichtete: Manch eines ist nur karg möbliert, die meisten aber quellen fast über vor Bildern, Antiquitäten, Erinnerungsstücken. Und inmitten all dieser Gegenstände sitzt eine Person: im Vordergrund und unscharf. Fast so, als sei sie schon gar nicht mehr da. Kein Wunder: Sind die Porträtierten doch 1916 in Innsbruck, 1917 in Wien oder 1919 in Krakau geboren. In einem Fall kam Gisinger zu spät. Auch wenn die Geige derart auf dem Sessel liegt, dass man meinen könnte, Max Brainin, ein 1909 geborener Werbegrafiker und passionierter Violinist, sei nur schnell einmal hinausgegangen.

Eine gespenstische Situation. Denn im Jüdischen Museum sitzt der Besucher diesem Foto, stark vergrößert und auf eine cinemascopeartige Fläche kaschiert, gegenüber. Und das verschwundene Visavis wie auch die anderen acht, die noch leben, erzählen über Lautsprecher aus ihrem Leben: von der Jugend in Österreich, vom Einmarsch Hitlers, von der Flucht, vom Neubeginn in den Staaten, von den zerstörten Hoffnungen und dem amerikanischen Traum.

Interviewt worden waren diese Emigranten von jungen Männern, die ihren Zivildienst in New York leisteten - als "Gedenkdiener". Der Verein Gedenkdienst entsendet jährlich rund 25 Österreicher zu diversen Holocaustgedenk-stätten in Europa, Israel - und seit 1995 an das Leo Baeck Institute, ein Recherche- und Studienzentrum zur deutschsprachigen jüdischen Geschichte in New York. Dort arbeiten die Zivildiener an einer der wichtigsten Oral-History-Sammlungen zur österreichischen Zeitgeschichte, der Austrian Heritage Collection.

Über Fragebögen hat man bisher 2500 Biografien von Emigranten zusammengetragen, zu 600 von diesen wurden Dokumentensammlungen angelegt, und mit rund 200 Personen führte man Interviews, teilweise in Englisch, teilweise in Deutsch. Zum zehnjährigen Bestehen, den der Verein Gedenkdienst heuer feiert, ermöglicht das Jüdische Museum nun einen Einblick in die Arbeit und die Motive der Zivildiener wie die neue Welt der Altösterreicher: Vom Großvater vertrieben, vom Enkel erforscht?

Die äußerst sachlich abgehandelte, dennoch berührende Ausstellung entstand auf Initiative des Architekten Christian Prasser, der zusammen mit Thomas Geisler auch das exzellente Design entwarf, und in Zusammenarbeit mit einem weiteren ehemaligen "Gedenkdiener", dem Kurator Niko Wahl. Sie ist nicht nur in Wien zu sehen: Gleichzeitig stellt auch das Leo Baeck Institute einige Emigranten in Wort und Bild vor. Darunter die 85-jährige Modedesignerin und Malerin Ruth Rogers Altmann, Tochter des Architekten Arnold Karplus, über deren Werk und Familie man sich eine eigene Schau wünschen würde. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.8.2002)