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Primal Scream - Evil Heat (Sony)
Primal Scream perfektionieren auf "Evil Heat" alte Großtaten. Rock wird mit Dancefloor fusioniert und in Punk übergeleitet. Alt, aber nicht alt geworden - und noch immer keinen Unterschied zwischen guter Laune und schlechter Stimmung machend.
Von Christian Schachinger
Das Jahr 1991 wurde in der Popwelt von zwei bahnbrechenden Ereignissen bestimmt. In den USA veröffentlichten Nirvana mit Nevermind ein Jahrhundertalbum, das die "Alternative Music" zum neuen Mainstream machte. Zumindest so lange, bis Bryan Adams beschloss, zum Friseur zu gehen, und Bon Jovi nicht mehr länger Frauenkleider tragen wollten. In Großbritannien gelang Bobby Gillespie, dem ehemaligen Schlagzeuger der Beach-Boys-auf-Acid-Götter The Jesus & Mary Chain ( Pschocandy !!!) und seiner eigenen, ebenfalls seit Mitte der 80er-Jahre bestehenden Band Primal Scream unter der Regie des Produzenten Andrew Weatherall, mit dem Doppelalbum Screamadelica erstmals gewinnbringend eines: Herkömmliche Rockstrukturen wurden in den Dancefloor übergeleitet. Damit schufen Primal Scream einen Konsens, der es bis heute nicht nur Fatboy Slim oder The Prodigy ermöglicht, beim konservativen Hörer mit "Big Beats" ordentlich aufs Holz zu klopfen. Auch Leute wie U2 haben von dieser damaligen Hochzeit ungleicher Brautleute nachhaltig profitiert. Drei Jahre nach diesem historischen Meilenstein kehrten Primal Scream mit Give Out But Don't Give Up zum Entsetzen ihrer Fans wieder zu dumpfen Rolling-Stones-Hommagen zurück. Nach einer anschließenden Phase des unentschlossenen Lavierens zwischen jeweils aktuellen Updates von Screamadelica und uninspiriertem Rock-Schmock brachte Gillespie die Band erst vor zwei Jahren mit dem kompromisslosen Electro-Punk-Rock-Wahnsinn von XTRMNTR ("Bomb the Pentagon!", "Kill all Hippies!") wieder auf Kollisionskurs mit der Moderne. Mit Evil Heat gehen Primal Scream nach drei Schritten nach vorn jetzt zumindest einen zurück. Die Hassgesänge von XTRMNTR , hier noch fortgeführt im Song Rise , werden mit elegischen Hommagen an Kraftwerk auf der Autobahn 66 ebenso relativiert, wie man neben dem Electro-Punk der aktuellen, die Kasperln von The Prodigy Gassi schickenden Single Miss Lucifer auch den infernalischen Electro-Blues entdeckt und sich noch dazu Robert Plant ins Studio lädt: The Lord Is My Shotgun . Der misshandelt hier eine bis zum Anschlag verzerrte Mundharmonika. Kate Moss haucht sich durch eine kranke Version von Lee Hazlewoods Some Velvet Morning. Und neben Jesus-&-The Mary-Chain-Sänger Jim Reid zeichnet der heimgeholte Andrew Weatherall für die Produktion ebenso verantwortlich wie Kevin Shields. Auch der hat schon einmal Geschichte geschrieben. Ebenfalls im Jahr 1991. Mit seiner Band My Bloody Valentine revolutionierte er auf Loveless den Gitarrenrock damals insofern, als man mit freiem Ohr gar keine Gitarren mehr erkennen konnte. Ein Treffen älterer Menschen, die zur großen Freude aller nicht alt geworden sind! (DER STANDARD, Printausgabe, 9.8.2002)