Literatur
Das Nacktbad Bathsebas
Von Christl Greller
Mit sechzehn, es war knapp
vor dem Krieg, trieb ich mich im Prater herum. Der Trieb
war sicher einer der Gründe,
dazu die Gier nach Abenteuer.
Ich schlingerte an den Buden
vorbei, das Geldbörsel leer bis
auf das Geld für die Heimfahrt,
das Herz platzend von Wünschen.Was es alles gab!
Kraftlackeleien aller Art
sorgten für Gejohle. Dazwischen das Quietschen der
Hutschen, das Mahlgeräusch
der Ringelspielmotore, zugeleiert mit Musik. Die längste
Schlange der Welt - zwei Meter vom Kopf bis zum
Schwanz und zwei Meter vom
Schwanz bis zum Kopf! Ich
konnte die vier Meter Länge
aus finanziellen Gründen
nicht überprüfen, war also beeindruckt. Auch die Gummi-Lady, die sich angeblich auf
einen halben Meter zusammenlegen konnte, blieb aus
Geldmangel ungeprüft.
Fest steht, dass eine Dame
ohne Unterleib - wäre sie damals angepriesen worden -
mich kaum interessiert hätte.
“...das Nacktbad
Bathsebas...”aber hörte ich sofort aus allen Ausrufen, Musiken und Geräuschen heraus.
“Kommen Sie, schauen Sie,
staunen Sie - Jawohl total
nackt, weil im Bade. Wagen
Sie es, meine Herren, sehen
Sie Bathseba nackt, nackt,
nackt!”
Es war eine Holzbude wie so
viele, im Vorfeld mit einer Art
Markise ausgestattet, vor der,
damit er im Lichte stand, der
Ausrufer auf einer Holzkiste
gestikulierte. Mit den Windmühlenbewegungen seiner
Arme schaufelte er Zuschauer
unter die Markise, wo sie sich
bereits im Bannkreis befanden
und - sie wollten ja gaffen -
nur noch schwache Fluchtbewegungen machten. Weil
sie nicht mehr aus konnten,
schoben sie sich schließlich
an der Kasse vorbei, wo eine
überquellende ältere Frau
dampfte und so vollständig
mit dem Geld Einnehmen beschäftigt war, dass keiner der
sich verlegen oder weltmännisch eintretenden Männer
auch nur einen Blick abbekam. Auch ich nicht.
Ja, ich. Ich hatte heißen
Herzens beschlossen, zu Fuß
nach Hause zu gehen. Ich
wohnte am anderen Ende von
Wien, in drei Stunden würde
ich es schaffen, aufgewühlt
wie mich das nun zu Erlebende machen würde.
Die Zuschauer (das heute
übliche -Innen hier nicht notwendig) schoben sich in die
drei Sesselreihen, jeder bestrebt, so weit wie möglich
hinten zu sitzen, sich unsichtbar zu machen, während
die Stimme draußen immer
noch das Nacktbad Bathsebas
als so nackt wie Gott sie schuf,
pries. Der Raum war fensterlos, daher nur erhellt durch
das Licht, das auf die winzige
Bühne fiel, wo linker Hand ein
Holzbottich und rechter hand
ein Küchensessel stand. In
Ermangelung einer Mitte war
damit die Bühne bereits gefüllt. Als es auch die Zuschauerreihen waren, stieg der Aus_
rufer von seiner Kiste und
setzte neben der Bühne ein
Grammophon in Betrieb. Es
wurde still - wenn man vom
Jeiern des Gerätes absah - und
eine junge Frau betrat die
Bühne. Meine Hände wurden
feucht und mein Herz arbeitete so laut, dass ich aufzufallen
fürchtete. Meine Hose spannte. Die Frau trug einen fanta
sie-antiken Bademantel, den
sie öffnete und auf den Sessel
legte. Sie knöpfte die Strümpfe vom Strumpfgürtel und legte sie über die Lehne. Sie zog
die schmucklose Unterhose
aus, zerrte den Strumpfgürtel
vom Leib und entledigte sich
ihres Büstenhalters. Sie war
tatsächlich vollständig nackt.
Und die ganze Zeit zeigte ihr
Gesicht eine unübersehbare
Mischung aus Langeweile,
Angewidertheit und Verachtung. Im Moment, wo sie nackt
war, fiel ein Vorhang. Die
Bühnenbeleuchtung ging aus,
dafür eine Hintertür auf. Sie
zeigte durch den Lichteinfall
an, dass und wo man die Bude
zu verlassen hatte.
Murren mischte sich in das
Scharren der Sesselbeine. Etwas so Unerotisches hatte
man noch nie gesehen, und
auch noch so kurz.
Das Aufbegehren fiel jedoch
dem Licht der Außenwelt zum
Opfer, wo die Scham über die
eigene Dummheit die Oberhand gewann, und die Zuschauer, Schultern hochgezogen, Hände in den Taschen,
sich schnell zerstreuten.
Ich zog die Hose zurecht
und machte mich auf den langen Heimweg.
Mein Herz schlug normal
und meine Hände waren trocken.