Berlin - "Beautiful!" Patti Smith guckt von der Open Air Bühne auf der Museumsinsel auf die Alte Nationalgalerie im Abendrot. "How do you say that in German?" Die Band rockt los.Am linken Bühnenrand steht etwas spröde Jackson Smith, der zwanzigjährige Sohn der Rock-Ikone und spielt die Gitarre so, als ob er nicht ganz dazugehört, trotzdem immer auf die Mama fixiert. Im Laufe des Abends taut der junge Mann auf und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Mehrere Songs aus dem Line-Up stammen von Smiths Platte "Gone Again" (1996), die im Gedächtnis an Pattis damals überraschend verstorbenen Ehemann Fred Sonic Smith erschien. Mutter und Sohn stehen im Gedenken zusammen auf der Bühne - frei von jeder Weinerlichkeit, wie aus dem tibetanischen Totenbuch, im Schmerz mit einem Augenzwinkern. Auch die offensichtliche Geschmacksverirrung des Schlagzeugers Jay Dee Daugherty, wie Gitarrist Lenny Kaye ein Gründungsmitglied der Band, irritiert nur im ersten Augenblick. Daugherty sieht in seinem schweinchenrosa Hemd wie ein geschniegelter Versicherungsvertreter aus, der nach Feierabend in der Hobbyband gerne noch die Schlagzeugstöcke schwingt. Allem voran Patti Smith: Tief und voluminös röchelt sie und stöhnt, sie fleht und sie predigt, Trash und Gottesdienst zugleich. Ganz im Jetzt Die Kulthymne "Gloria" klingt kein bisschen angestaubt. Alles vibriert, ganz im Jetzt. Genauso "Redondo Beach", aus Pattis Debütalbum Horses. Oder ihr großer Hit "Because the Night", den sie zusammen mit Bruce Springsteen schrieb. Der einzige Song, der es in die Top 20 der Charts brachte. Nichts wirkt sentimental oder nostalgisch. Patti Smith ist keine Verkäuferin. Kein Wort kommt ihr über ihre gerade neu erschienene Anthologie "Land (1975 - 2002)" über die Lippen. Aber Patti ist eine Aktivistin geblieben. "We have to get clean and we have to get clear!" Seit dem 11. September habe sich alles verändert. Heute sei sie unzufriedener mit der US- Regierung als je zuvor. „Was wir brauchen, ist eine globale Anti-Kriegsbewegung." Danach erklingt "People have the Power" - zum Mitsingen – ohne Pathos. Kindliche Verspieltheit Patti Smith gibt der Idee eines "In-Würde-Älter-Werdens " neuen Glanz, sie und ihre Musik beweisen eine zeitlose Schönheit. Eine kindliche Verspieltheit. Die Art und Weise, wie sie auf den Boden spuckt, um ihre Stimmbänder wieder zu säubern, zeigt, was cool ist ohne cool sein zu wollen. Bei "Dancing Barefoot" hockt sie mitten auf der Bühne, schnürt ihre Stiefel auf und wirft sie hinter sich. Dann beginnt ein Sockenstriptease, der damit endet, dass sie ihre alte Tennissocke am Handgelenk durch die Luft wirbelt und in die grölende Menge wirft. Eine Persiflage auf alle Marilyns dieser Welt. Standing Ovations Nach mehr als zwei Stunden magischer, energiegeladener Show steht Patti Smith mit wehender Mähne im nun dunklen sommerlichen Berliner Abendhimmel, die Menge tobt und will nicht nach Hause gehen. Noch zwanzig Minuten nach der letzten Zugabe ist fast die Hälfte des Publikums geblieben - mit stehenden Ovationen. Dann kommt Smith noch einmal auf die Bühne, bedankt sich charmant und "wir" danken "ihr". „Beautiful!” (Tim Schaffrick)