Wer Architekturverfahren schlampig ausschreibt, riskiert neuerdings juristischen Einspruch und viel Ärger. Vergabetechnisch ist der EU-Beitritt noch immer nicht ganz vollzogen. Als vor einigen Jahren in Chikago ein Schneesturm ausbrach und eine ganze Menge Leute aufgrund der damit einhergehenden Schneeverwehungen zu spät zur Arbeit kamen, brachten die Autofahrer eine Sammelklage gegen die Stadt ein, weil die der Schneemassen nicht rechtzeitig Herr geworden war und sie zu spät zur Arbeit gekommen waren. Warum die Stadt daraufhin keine Gegenklage einbrachte, die sich mit dem Thema des Dann-halt-früher-Aufstehens befasste, bleibt unklar. Wenn in Österreich ein Architekturwettbewerb veranstaltet wird, spielt sich neuerdings auf den ersten Blick ganz Ähnliches ab: Irgendjemand, der sich an diesem Wettbewerb beteiligt, aber nicht gewonnen hat, erhebt im Anschluss juristisch Einspruch, bemüht scheinbar im Dienste der Architektur Anwälte, zweifelt das Verfahren öffentlich an und bewirkt damit zweierlei: Erstens wird das Prinzip Wettbewerb durch den Dreck und zweitens eine etwaige Vergabe in die Länge gezogen, unter Umständen gleich über ein paar Jahre. Das ist schmerzlich und in jedem Fall teuer für die Auftraggeber, mühsam für alle am Verfahren beteiligten Architekten, und alle diese Einsprüche werden nur in Ausnahmefällen im Sinne guter Architektur erhoben. Die Ursachen für diese momentane Einspruchs- und Klageführungsflut sind einfach erklärt: Was die Planung und teils auch Herstellung großer Gebäude anbelangt - die per Gesetz ab einer gewissen Größe via europaweites Wettbewerbsverfahren vergeben werden müssen -, hat Österreich den EU-Beitritt und die daraus folgenden Konsequenzen zu einem guten Teil noch nicht wirklich begriffen, man könnte auch sagen, intern verkraftet. Die Schuld trifft dabei allerdings nicht die Architekten, sondern diejenigen, die schleißige Verfahren veranstalten, schlecht ausloben, schlampig exekutieren, also die Auftraggeber der Architektur selbst. Mängel in der Ausschreibung und im Ablauf eines Wettbewerbes, die früher vielleicht als ärgerliche Kavaliersdelikte durchgingen, können heute, so sie von Architekten aufgegriffen und an Juristen weitergespielt werden, ein gesamtes Verfahren kippen und Verfahrensteilnehmer sowie Auslober sogar bis zurück an den Wettbewerbsstart schicken. Kleines Festspielhaus Dass Verfahren juristisch angreifbar, beeinspruchbar, ja sogar aufhebbar sind, ist spätestens seit dem Vorjahr mit dem prominenten Beispiel Kleines Festspielhaus Salzburg allen mit der Materie Befassten klar: Es wurde zu einem Wendepunkt im heimischen Architekturwettbewerbswesen. Gesucht wurde damals via Verhandlungsverfahren das geeignete Architektenteam für den Umbau des historisch als wichtig erachteten, doch zu kleinen Hauses vom Salzburger Architekturahn Clemens Holzmeister. Neun Juroren erklärten das Projekt des Teams Hermann, Valentiny, Wimmer, Zaic für das entsprechendste, reihten den Wiener Kollegen Wilhelm Holzbauer auf Platz zwei und erachteten das Verfahren als beendet. Doch weit gefehlt. Nach einem Jahr des juristischen Gerangels dürfen dieselben Juroren dieser Tage, und zwar am Freitag, noch einmal zusammenkommen und noch einmal alle mittlerweile überarbeiteten Projekte beurteilen, denn Holzbauer hatte unmittelbar nach seiner knappen Niederlage Verfahrensmängel geortet, an die Behörden weitergegeben und Recht bekommen. Von der Qualität der Architektur, also dem eigentlich wichtigsten Inhalt eines Wettbewerbsverfahrens, war im Laufe der vielen Verhandlungen und Schlagabtausche so gut wie nie die Rede. Von der Verantwortung eines Auslobers, sich endlich geprüfter, ausgebildeter Spezialisten zu bedienen, um schon lang vor der entscheidenden Jurysitzung die Weichen in Richtung guter Architektur zu stellen, auch nicht. Hier geht der Ball wieder an die Architekten. Diese ewig zerstrittene Zunft hat es bis heute nicht vermocht, ihre eigenen Interessen professionell als Berufsstand zu vertreten und Fachleute für Wettbewerbsvorbereitung sowie Begleitung auszubilden. Was etwa in Deutschland fast schon zu einem eigenen Berufsstand geworden ist, liegt hierzulande in Händen einiger weniger. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.8.2002)