AMS will auch Sozial- und Notstandshilfe abwickeln - Nach Hartz-Idee Buchinger: Für alle Erwerbsfähigen, Rest soll bei Sozialämtern bleiben - Schärfere Zumutbarkeitsregeln in Österreich nicht nötig - Strafrahmen bei Arbeitsverweigerung ausdehnen Wien (APA) - Das Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) möchte künftig alle Sozialleistungen für Erwerbsfähige abwickeln, neben der Arbeitslosenunterstützung also auch die Sozialhilfe und die Notstandshilfe, die derzeit zu den Sozialämtern ressortiert und bundesländerweise unterschiedlich geregelt ist. AMS-Chef Herbert Buchinger sagte am Mittwoch, dieser Vorschlag der deutschen Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform erscheine ihm "am ehesten für eine Übernahme in Österreich überlegenswert". Das AMS zum alleinigen Ansprechpartner für alle Erwerbsfähigen zu machen könne ohne Leistungsverschlechterung den Aufwand senken. Nicht erwerbsfähige Personen sollten dagegen weiterhin über die Länder von den Sozialämtern betreut werden, dies wäre dann auch eine klare Trennung, sagte Buchinger bei einem Hintergrundgespräch. Arbeitsfähigen könne dagegen der derzeit erforderliche zusätzliche Weg zum Arbeitsamt, um einen Vormerkschein zu erhalten, erspart werden. Ein solcher Eingriff in die föderalistische Kompetenz würde freilich einen "Mindestkonsens" zwischen Bund und Ländern, ein Verfassungsgesetz und Änderungen im Finanzausgleich erfordern, so Buchinger. Für Deutschland hat die Expertenkommission in ihrem am Freitag der Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder übergebenen 343-seitigen Abschlussbericht unter anderem eine organisatorische Zusammenlegung von Arbeitsämtern und Sozialämtern zu "Job-Centern" empfohlen. Eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmung wie in Deutschland diskutiert bzw. vorgeschlagen hält Buchinger in Österreich nicht für nötig, außer gewissen rechtlichen Klarstellungen im Sinne der VwGH-Judikatur. So sei derzeit die Vermittlung über Wohnortgrenzen hinaus schon geübte Praxis, die sich auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs niederschlage. Die gesetzliche Regelung hinke hier jedoch noch etwas nach und gehöre angeglichen. Wiederholt genannte Beispiele, wonach etwa die Vermittlung eines Arbeitslosen von Wien-Favoriten nach Vösendorf (NÖ) nicht zumutbar und daher nicht möglich sei, seien einfach falsch. Bei der Sanktionierung von Arbeitsverweigerung kann sich der AMS-Chef dagegen eine Ausweitung des Strafrahmens vorstellen - nach oben und nach unten -, da derzeit manche Sanktionen zu milde seien, in anderen Fällen aber auch eine förmliche Verwarnung ausreichen könnte. Bei einer versäumten Kontrollmeldung beim Arbeitsamt wird derzeit das Arbeitslosengeld bis zur Meldung des Arbeitslosen gesperrt, bei selbst verschuldeter Dienstverweigerung ohne triftigen Grund wird es für 4 Wochen gesperrt, bei Arbeitsverweigerung oder Nichtteilnahme an einer Integrationsmaßnahme für 8 Wochen, im Wiederholungsfall für 12 Wochen. Im Extremfall sollte der Strafrahmen laut Buchinger bis zur völligen Aberkennung der Leistungen reichen, also vorher zumindest 28 Wochen gearbeitet werden müssen, ehe ein neuer Anspruch entsteht. Im übrigen werde Arbeitsverweigerung in Österreich in allen Bundesländern gleich sanktioniert, betonte Buchinger. Dass in Oberösterreich und Salzburg die Rate der Arbeitslosengeld-Sperren am höchsten - und in Wien am niedrigsten - sei, liege an den dort offenbar "guten Beziehungen" zwischen AMS und den Unternehmen, die Arbeitsverweigerungen sofort weitermelden würden: "In Wien ist man da noch weit hinten." (Forts.) sp/wyn AMS 2 - "Ich-AG" positiv, drei Jahre Zuschuss aber zu viel Deutsche sind doppelt so lang arbeitslos wie Österreicher - "Heimischer Arbeitsmarkt ist flexibler als amerikanischer" Wien/APA Das Modell der so genannten "Ich-AG", mit dem die Hartz-Experten zusammen mit Mini-Jobs in Deutschland die Selbständigkeit fördern und die Schwarzarbeit reduzieren wollen, hält Vorstandsdirektor Herbert Buchinger vom Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) für "ein interessantes Programm, um den Transfer von Arbeitslosen in die Selbständigkeit zu unterstützen". Dafür aber Arbeitslosen drei Jahre lang Zuschuss vom Arbeitsamt zu geben, wie von der Kommission unter Leitung von VW-Personalvorstandsdirektor Peter Hartz vorgeschlagen, hält Buchinger für "etwas lang". In Österreich gebe es maximal 6 Monate lang Gründungsbeihilfe, und eine Verlängerung auf 12 Monate würde "auch nicht mehr bringen". Auch dass Arbeitslose in Deutschland generell bis zu 3 Jahre lang Arbeitslosengeld bekommen können, hält der AMS-Chef im Sinne einer möglichst raschen Reintegration in den Arbeitsmarkt für "nicht sehr gut" - und dies bei einer Nettoersatzrate, die mit 59 Prozent leicht über jener in Österreich (55 Prozent) liege. Die durchschnittliche Verweildauer in Arbeitslosigkeit sei in Deutschland mit 33 Wochen mehr als doppelt so lang wie in Österreich (15 Wochen). Dem heimischen Arbeitsmarkt mit seiner hohen Flexibilität stellt der AMS-Chef ein gutes Zeugnis aus: "Der österreichische Arbeitsmarkt ist amerikanischer als der amerikanische". Österreich weise gemessen an der Zahl der Auflösungen und Neuabschlüsse von Dienstverhältnissen die höchste Rate unter den OECD-Staaten auf. Auch für Österreich sinnvoll findet AMS-Vorstandsdirektor Herbert Buchinger den Vorschlag der deutschen Hartz-Kommission, dass Arbeitslose selbst möglichst frühzeitig das Arbeitsamt von ihrer (bevorstehenden) Kündigung informieren müssen. Allerdings kann sich der Arbeitnehmer in Deutschland während der Kündigungszeit Postensuchtage nehmen, die in Österreich mittlerweile wieder abgeschafft worden sind. Änderungen im Kündigungs-Frühwarnsystem für die Unternehmen hält Buchinger nicht für nötig. Denn mit einer Liste, die nur die Namen der Mitarbeiter enthalte, könne das Arbeitsmarktservice wenig anfangen. Zielführender sei es, die genauen Qualifikationen und Einsatzmöglichkeiten von Gekündigten zu kennen. Für versäumte Zeit durch verspätete Kündigungsmeldungen kann sich Buchinger auch eine Verringerung des Arbeitslosengeldes im selben Zeitausmaß vorstellen. Beim Berufsschutz sieht Buchinger wenig Handlungsbedarf. Eine Tätigkeit, wenn auch schlechter bezahlt, sei dann zumutbar, wenn darunter nicht eine künftige Verwendung im erlernten Beruf leidet. Dass ein neuer Job nicht dequalifizieren dürfe, stelle auch die VwGH-Rechtsprechung klar. Für wichtiger als den Berufsschutz hielte der AMS-Vorstandsdirektor dagegen einen Einkommensschutz, den es in Österreich derzeit gar nicht gibt. In der Schweiz gilt ein Job mit 80 Prozent der früheren Einkommenshöhe als zumutbar: Ist der Lohn noch geringer ist, muss die Arbeitsmarktverwaltung einen Zuschuss leisten, um die Differenz bei maximal 20 Prozent zu halten. (Forts.mögl.) sp/wyn