Die ältere Dame kommt hier regelmäßig vorbei - und als sie zwei Leute vor den beiden Obelisken in der Hernalser Schwarzenberg-Allee stehen sieht, geht sie gleich schnurstracks hin und deutet auf den Schriftzug: "Sie wissen eh, wer das war?""Kyselak" steht hier eingraviert. Und als der Stein kürzlich saniert wurde, blieb der Name erhalten. Denn die Restauratoren wussten offenbar genau, dass es sich hierbei um ein historisch wertvolles Dokument handelt: das erste erhaltene "Graffiti" von Wien aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Begonnen hatte es mit einer Wette, wie Alfred Kölbel in seinem Buch "Alten Mythen auf der Spur" (Echo-Verlag) beschreibt. Joseph Kyselak hatte es nach einem abgebrochenen Studium und gescheiterter Schauspielerei nur zum "Registraturs-Accessisten" gebracht; einer untergeordneten Position in der Hofkammer. Trotzdem behauptete Kyselak, er könne seinen Namen binnen dreier Jahre in der ganzen Monarchie bekannt machen, "ohne jedoch dies zu tun, indem er ein ungeheures Verbrechen begehe oder eine neue Art des Selbstmordes anwende". Verunzierte Brücke Bald schon fand sich Kyselaks Schriftzug an allen möglichen und unmöglichen Orten. Auf Gebäuden oder auch den höchsten Felswänden und Zinnen. Angeblich habe ihm sogar der Kaiser vor der Eröffnung der Augartenbrücke über dem Wiener Donaukanal mitteilen lassen, er wünsche keine Verunzierung des neuen Überganges. Als aber nach der Eröffnung der Kaiser mit dem Schiff unter der Brücke durchfuhr, da konnte er deutlich am Tragwerk lesen: "I. Kyselak". "Und das Beste wissen Sie auch?", fragt begeistert die Dame in der Schwarzenberg-Alle. Dass der Kaiser angeblich Kyselak zu sich berief, um ihm ins Gewissen zu reden. Kyselak habe Besserung gelobt - aber nachdem er gegangen war, las der Kaiser auf dem Schreibtisch: "Kyselak". Woher sie, die Dame, das alles weiß? "Na, weil's mich halt interessiert", lächelt sie. (Roman Freihsl/DER STANDARD, Printausgabe, 3.9.2002)