Forschung & Geschlecht
"Men Only" - Orientiert sich die Medizin zu sehr an Männern?
Internationale Konferenz "Gender & Health" soll geschlechtsspezifische Medizin fördern
Wien - Schlechtere Wirkung von Medikamenten auf Frauen,
unzureichende Untersuchungen und mangelnde Berücksichtigung in
medizinischen Studien. Ist die moderne Spitzenmedizin dem männlichen
Geschlecht vorbehalten? Mit dieser Frage beschäftigt sich die
Konferenz "Gender & Health" vom 16. - 18. September in Wien. Gesundheit wird, wie eine Vielzahl von Studien zeigt, neben vielen
anderen Faktoren stärker als bisher angenommen vom Geschlecht
beeinflusst.
Das Gesundheitssystem der Stadt Wien ist daran interessiert, diesem Umstand Rechnung zu tragen. Um sich an internationalen
Erfahrungen orientieren zu können und Konzepte für die
Zukunft zu suchen veranstalten die Frauenstadträtin Renate
Brauner und die Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann
auf der Grundlage der fachlichen Expertise der Wiener
Frauengesundheitsbeauftragten, Beate Wimmer-Buchinger erstmals in
Wien eine internationale Konferenz zum Thema "Gender & Health".
Beispiel aus der Praxis
Antonia H., 78 Jahre alt, leidet monatelang an Halsschmerzen und
"Magenbrennen". Die behandelnden Ärzte verschreiben der Patientin
Lutschtabletten und Magenmedikamente, welche die Symptome nicht
bessern. Als sie schließlich zur Koronarangiographie (CAG) kommt,
wird eine koronare Herzerkrankung diagnostiziert und eine
Bypass-Operation empfohlen.
Männliche Patienten werden in der Regel bereits mit weniger
ausgeprägten Symptomen einem intensiven medizinischen Check
unterzogen.
Krankenhausalltag
Das dies nicht aus dem Bereich der medizinischen Mythen stammt,
sondern den Status Quo des Krankenhaus-Alltags beschreibt, zeigen die
Studien der Innsbrucker Wissenschaftlerin Margarethe
Hochleitner. Die Fachärztin für Innere Medizin widmet sich seit 1993
frauenspezifischen Forschungsprojekten im Gesundheitsbereich. So
untersuchte sie mit ihrem Team den Zugang zu Herzuntersuchungen und
Behandlungen in Tiroler Krankenhäusern. Die Ergebnisse sind
besorgniserregend: "In jeder Altersgruppe wurden mehr Männer als
Frauen auf dem höchsten verfügbaren technischen Level behandelt, auch
in der Altersgruppe 80+, in der Frauen ein deutlich höheres
Herzrisiko haben". Die Statistik zeigt, dass - sowohl in absoluten
Zahlen, als auch prozentuell - mehr Frauen als Männer an
Herz-Kreislauferkrankungen sterben. Und das obwohl Frauen häufiger
als Männer ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen und konsequenter in der
Befolgung empfohlener Therapien sind.
Medikamente werden an Männern getestet
Dass dies in vielen Fällen nicht genügt, zeigen internationale
Studien. Gängige Therapien und handelsübliche Medikamente wirken auf
Frauen offensichtlich nicht so gut wie auf den männlichen Organismus.
Die Folge ist eine deutlich höhere Mortalitätsrate bei gleichen
Krankheitsbildern. Besonders auffällig ist dies bei
Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder in der HIV-Therapie.
Die World Health Organization (WHO) führt die schlechtere
Wirksamkeit pharmazeutischer Präparate auf den weiblichen Organismus
auf die mangelnde Berücksichtigung von Frauen im Rahmen klinischer
Studien zurück. So werden neue Medikamente in den USA und
Großbritannien fast ausschließlich an männlichen Probanden getestet.
Wie die American Medical Association bereits 1991 festgestellt hat,
vernachlässigen viele ForscherInnen in ihren Studien die unterschiedlichen
Auswirkungen gleichartiger Krankheiten auf den männlichen und den
weiblichen Körper. Gerade im Bereich der Herzerkrankungen sind jedoch
klare geschlechtsspezifische Unterschiede in der Charakteristik des
Krankheitsverlaufes zu beobachten. Aber auch Depressionen führen bei
Männern und Frauen zu unterschiedlich starken Reaktionen, wie die
Selbstmordstatistik zeigt: So greifen Männer mehrheitlich zu letal
wirkenden Methoden, während Frauen, die es überwiegend mit Tabletten
versuchen, oft gerettet werden können.
Dabei wäre es alleine aus bevölkerungsstatischen Gründen mehr als
gerechtfertigt frauenspezifischen Gesundheitsfragen mehr Beachtung zu
schenken. Wie Anita Rieder, Institut für Sozialmedizin der Uni Wien,
betont, sind 51,2 Prozent der EuropäerInnen weiblich. Das Verhältnis fällt vor
allem in der Generation 80+ mit oftmals mehr als 70 Prozent deutlich
zugunsten des weiblichen Geschlechts aus. Für Rieder stellt sich die
Situation wie folgt dar: "Die Lebenserwartung steigt immer weiter und
damit wird auch der Bedarf an differenzierter medizinischer
Versorgung von Männern und Frauen immer wichtiger."
Geschlechtsspezifische Medizin gefordert
Forschungsergebnisse der letzten Jahre belegen, dass die
Bedürfnisse des weiblichen und männlichen Organismus viel
unterschiedlicher sind, als bisher angenommen wurde. In der
medizinischen Versorgung wurde bis heute noch kaum darauf reagiert.
Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit dieser Thematik
beschäftigt, ist Ilona S. Kickbusch, von der Yale-University. Die
Expertin in Sachen Globaler Gesundheitsforschung ist eine der
renommiertesten Vortragenden des "Gender & Health" Kongresses vom 16. -
18. September im Wiener Rathaus. Während ihrer Tätigkeit für die WHO
war sie maßgeblich an der Entwicklung des "Healthy Cities"-Programms
beteiligt, dessen Ziel es war weltweit einheitliche Standards in der
Entwicklung gesundheitsfördernder Programme zu etablieren. (red)