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Sanft kräuseln sich die Wellen in Rainer Köberls Raum

Foto: APA/Köberl
Die 8. Architekturbiennale von Venedig eröffnet am Sonntag ihre Rundschau des aktuellen internationalen Baugeschehens mit fast zynischen Machtdemonstrationen und kaum sozialem Engagement. Österreich positioniert sich individuell, doch am Rand.

"Next" heißt das von Biennale-Direktor Deyan Sudjic ausgegebene Motto der diesjährigen Architekturschau in den Giardini von Venedig, die konkrete Projekte der kommenden Jahre in den Mittelpunkt rückt. Wie üblich teilt sich die weltgrößte Architekturdemonstration in die Präsentationen der einzelnen Nationen in den Giardini-Pavillons sowie die internationale Schau im Arsenal.

Letztere führt in klassisch-perfekt gemachter Manier - also mit den guten alt(modisch)en Mitteln von Plänen und Modellen - vor, dass die Kunst des Bauens soeben im Begriff ist, einen Bogen zur Vollendung zu bringen: Der Architekt war immer ein Büttel der Macht, ein Gefolgsknecht des Geldes, doch nach einigen Jahrzehnten des gemäßigten bis radikalen sozialen Engagements gar nicht weniger Baukünstler lustwandelt man schnurstracks nun genau dorthin zurück, wo man zu Zeiten zentralistischer Machtstrukturen ein wohliges Leben führen durfte.

Architektur ist rascher, als man sich es hätte träumen lassen, wieder zur Pfauenfeder der Eliten geworden, zu einer Spielerei großer Unternehmen und kapitalkräftiger Einzelbauherren, einzig die Nationenpavillons von Israel und Brasilien scheinen sich dagegenzustemmen, zeigen in ihren Beiträgen so etwas wie Verantwortung gegenüber dem überwältigenden Rest der Menschheit.

Dior, BMW & Co

Während in Sudjic' Arsenal-Schau die Office-Buildings von Dior, BMW & Co protzig-mächtig in den Himmel wachsen, sich millionenschwere Privatresidenzen chic designt an idyllische Hänge schmiegen und die Museen der Zukunft elegante neue Architekturhüllen in Aussicht stellen, hängt Israel eine Landkarte okkupierter Gebiete an seine Pavillonfassade: Blau steht für israelische Siedlungen, Braun für arabische, Rot bezeichnet die Militärcamps. In den Tarnanzug, den sich das Land angezogen hat, sind Gucklöcher geschnitten. Wer genauer hinschaut, sieht Fotos einer zerbombten Wirklichkeit, die verhüllten Gesichter palästinensischer Demonstranten und israelischer Soldaten. "Das hier ist ein kurzer Moment der Reflexion, das Patchwork der Landschaft, das wir erlaubt haben", sagt Architekt Zvi Efrat, "Vielleicht werden wir bei der nächsten Biennale wieder fesche Hochhäuser und Shoppingmalls zeigen, doch im Moment ist dafür wohl der falsche Zeitpunkt."

Selbstkritisch geht auch Brasilien mit seinen Istzuständen ins Gericht, prangert die über die satten Dschungelhänge Rios und Sao Paulos wuchernden Favelas an, zeigt zugleich aber eine Reihe vorzüglicher Wohn-und Sozialprojekte, die, großteils bereits realisiert, den Slumbewohnern neue Häuser und Zufluchtsstätten und damit Hoffnung auf menschenwürdige Existenzen bieten.

Gut gemacht auch der Beitrag Griechenlands, der multimedial die dichte, lärmende Metropole Athen demonstriert, während sich die meisten anderen Länder darauf beschränken, ihre lokalen Matadore samt deren tadellosen, glatten, tollen, teuren Projekten wieder einmal ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken und damit dem ewig gleichen Stargetue Vorschub leisten. Frankreich, die Niederlande, Skandinavien - alle zeigen sie schöne Architekturen, saubere Arbeiten, mehr nicht. Amerika reduziert sein Architekturgeschehen auf die bereits bekannten Architekturvisionen für Ground Zero und legt als Mahnmal eine geborstene Eisentraverse des World Trade Centers vor den Eingang.

Österreich wagt unter Kommisär Dietmar Steiner einen Mittelweg und bringt mit Nelo Auer, Jan Turnovsky, Heidulf Gerngross und Rainer Köberl vier markante Persönlichkeiten in die Giardini.
Auer lotet mit ihrem Beitrag die sich verwaschenden Konturen zwischen Kunst, Architektur, dem Leben im Allgemeinen aus, sie serviert Essen und gepolsterte Gemütlichkeit. Gerngross installiert ein Wohnhaus im Haus und demonstriert damit die wichtige Zelle des Privaten innerhalb großer Strukturen, Köberl flutet seinen Raum und lässt den denkmalgeschützten Hoffmann-Pavillon im Pritschelwasser sich widerspiegeln. Dem verstorbenen Turnovsky und seinen Architekturtheorien ist der vierte Österreich-Raum fast weihevoll gewidmet - DER STANDARD wird am Montag umfassend über den Österreich-Beitrag berichten.

Weltverbesserer?

Der Goldene Löwe für das architektonische Lebenswerk geht heuer übrigens an Toyo Ito. Der experimentierfreudige Japaner ist in der Hauptschau unter anderem mit einem feinen Konzerthaus für Matsumoto vertreten, auf das man sich tatsächlich freuen kann.

Ein Besuch der Architekturbiennale bleibt trotz des vielfachen Protzgehabes der Baumeister und des Imponiergetues der Unternehmen empfehlenswert, vielleicht sogar gerade deshalb - die Architektur hat hier die freundliche Maske des Weltverbesserers abgelegt, darunter zeigt sich die nackige Wahrheit: Wo Kapital, da Pfau. Wo keines, da Slum. So einfach ist das. (DER STANDARD, Printausgabe vom 7./8.9.2002)