Wohlfahrtspatriotismus und Angst vor Immigranten, breite Skepsis gegenüber der EU und zweimal Nein zum Euro: Dänemarks Regierung, die in diesem Halbjahr im Rat der Europäischen Union die Präsidentschaft innehat und die Osterweiterung der EU auf den Weg bringen soll, agiert vor einem schwierigen innenpolitischen Hintergrund.

"Ich nenne es das 45-Prozent-Problem der dänischen Politik", sagt Ove Kaj Pedersen, Professor für Staatswissenschaft an der Universität Kopenhagen, im Gespräch mit dem STANDARD: Mindestens 45 Prozent der Dänen hätten sich in den sechs Referenden seit dem EU-Beitritt 1973 immer gegen die europäische Integration gestellt. Zuletzt lehnten sie zweimal die Einführung des Euro ab.

Ein Grund ist für Pedersen das tief sitzende Streben nach staatlicher Eigenständigkeit: "Dänemark wurde in der Geschichte immer wieder besetzt - von Deutschland, von Schweden. Nationale Souveränität ist so etwas wie eine Ideologie geworden." Der andere Pfeiler der dänischen Identität sei der Wohlfahrtsstaat. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei er bewusst stilisiert worden "zu einer Art Impfmittel gegen Nazismus und Kommunismus".

Der "Wohlfahrtspatriotismus" vieler Dänen ist heute ein Motiv für die Verschärfung der Ausländerpolitik: Die sozial Schwächeren wollen nicht mit Immigranten um staatliche Leistungen konkurrieren. Sie wandten sich von den Sozialdemokraten ab und bildeten das Wählerpotenzial für den rechten Flügel.

Den jüngsten Streit zwischen der rechten dänischen und der linken schwedischen Regierung um die Ausländerpolitik erklärt Pedersen so: "In Schweden sind die Wähler der Sozialdemokraten vor allem Staatsbeamte. Und unter den Sozialdemokraten hat es nie eine offene Debatte über die Immigration gegeben." Angesichts der bevorstehenden EU-Erweiterung gebe es in Dänemark nun die Angst vor einem Zustrom von Arbeitssuchenden aus den baltischen Staaten und aus Polen, so Pedersen.

Dennoch ist der Wissenschafter optimistisch für die Bereiche, in denen die Dänen sich bisher einer vollen Integration in die EU widersetzt haben. "Es ist sicher, dass Dänemark in den nächsten fünf Jahren Mitglied der Eurozone wird", meint Pedersen, "sogar wenn Schweden und Großbritannien nicht beitreten." Viele Dänen seien aus dem Urlaub schon mit der europäischen Währung vertraut, und sie könnten die mitgebrachten Euro in vielen Läden in Dänemark benutzen.

Auch den dänischen Ausnahmen von der EU-Integration in den Bereichen Verteidigung und Innenpolitik gibt Pedersen keine Zukunft - nicht nur weil die Regierung unter Anders Fogh Rasmussen sie aufgeben will. "Niemand mehr glaubt an die Sonderregelungen. Nicht einmal die Linke, die sie ursprünglich durchgesetzt hat", sagt der Politologe. Der Grund: "Alle sehen, dass die Ausnahmen Dänemark bei der Verteidigung seiner Stellung in der EU Probleme bringen."

Nun spreche niemand mehr über sie, so Pedersen. "Wir sind eine Nation der Händler: Wenn deine Prinzipien beginnen, deinen Interessen zu schaden, dann änderst du deine Prinzipien." (DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.2002)