Inland
"Schüssel vor dem Ende seiner politischen Karriere"
Internationale Medien kommentieren das Ende der Schwarz-Blauen Koalition
Zürich/Frankfurt/München/Berlin/Bonn/Paris/Rom/Mailand - Mit dem spektakulären Zusammenbruch der
schwarz-blauen Koalition in Österreich und dem vorzeitigen Ende der
Legislaturperiode befassen sich am Dienstag zahlreiche ausländische
Pressekommentare. Sie stimmen darin überein, dass der Versuch von
ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, die Freiheitlichen durch Einbindung in
die Regierungsverantwortung zu "domestizieren", fehlgeschlagen sei.
Zugleich attestieren sie dem Bundeskanzler, dass die Strategie der
"Entlarvung" der FPÖ als nicht regierungsfähig voll aufgegangen sei."Süddeutsche Zeitung":
"Schüssel hatte sinngemäß versprochen, er werde die FPÖ und Jörg
Haider schon bändigen. Heute sind Haider und seine Freiheitlichen
außer Rand und Band wie nie zuvor. Die Koalition ist zerbrochen.
Haider hat sich selbst beschädigt. Schüssel steht vor dem Ende seiner
politischen Karriere. (...) Vordergründig als Machtkampf inszeniert,
sind konkrete Widersprüche in der Koalition der wahre Anlass für den
Kollaps: Haiders Prätorianer wollen die FPÖ wieder zur völkischen, am
'reinen' Nationalgedanken orientierten Partei machen. (...) Zwar
könnte die ÖVP bei Neuwahlen zulegen, müsste aber riskieren, dass der
Partner FPÖ dabei so schrumpft, dass keine gemeinsame Mehrheit mehr
übrig bleibt. Schüssel ist zudem mit einer Art Aussatz behaftet, weil
er die FPÖ salonfähig machen wollte: Keine andere Partei wird ihn
wohl je noch als Kanzler oder als Regierungsmitglied akzeptieren.
(...) Was die Isolation der EU vor drei Jahren nicht bewerkstelligen
konnte, hat die FPÖ selbst besorgt: Sie steht im Schmuddeleck als
unzurechnungsfähiger Außenseiter. Haider, der gerne den europäischen
Führer gespielt hätte, vermochte kein grenzüberschreitendes Charisma
zu entwickeln. Nur in den Augen ausländischer Extremisten glänzte das
Modell Österreich durch seine bloße Existenz. Dieser von Schüssels
ÖVP zu verantwortende grundsätzliche Tabubruch hat zumindest
psychologisch geholfen, ähnliche Verhältnisse in Italien, Dänemark
oder den Niederlanden vorzubereiten. Macht hat Glanz. Nun aber finden
sich die Freiheitlichen in der stumpfen Kategorie, in die sie
gehören: Sie sind ein wirrer, ideologisch und emotional
irrlichternder Verein, der als verlässlicher Partner nicht taugt und
mit dem Absprachen nicht zu treffen sind. Dies sollte als Warnung
erhalten bleiben: Die extreme Rechte taugt nicht als Ordnungsfaktor."
"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):
"Wer mit Haider die in den letzten Tagen oft zitierte
Friedenspfeife raucht, muss damit rechnen, dass sie vor der Nase
explodiert - diese Erfahrung haben soeben Bundeskanzler Schüssel und
seine Stellvertreterin Riess-Passer gemacht. Durch die neueste
Detonation ist die österreichische Regierung zerfetzt worden. Aber
auch Haider selbst, der die Pfeife mit Sprengstoff gestopft hat, ist
getroffen. Er hat die Regierung sabotiert und demoliert, die er mit
aufgebaut hat. Auf den Mann ist kein Verlass, mit ihm ist kein Staat
zu machen - die Erkenntnis ist nicht neu, aber diesmal besonders
deutlich. (...) Haiders Putsch hat einmal mehr den wahren Charakter
der Freiheitlichen Partei Österreichs gezeigt: Diese ist eine im
Grunde undemokratische Führerpartei und steht unter Haiders Fuchtel.
Er hat auch als angebliches 'einfaches Parteimitglied' seine
Mannschaft vollkommen im Griff. Riess-Passer durfte ihr Regierungs-
und Parteiamt behalten, solange es ihm gefiel, solange sie ihm
gehorchte und diente. Nun hat sie ausgedient und ist entlassen. (...)
Die Vorgänge haben auch gezeigt, in welchem Maße die Regierung und
insbesondere Kanzler Schüssel von Haider und seinen Launen abhängig
waren. Neben Haider führte Schüssel, der sich seiner schwachen
Position wohl bewusst war, die Geschäfte in einer Pose der ständigen
Selbstverleugnung."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):
"Die österreichische Wende ist gescheitert. Ebenso schlug der
Versuch fehl, die Regierungsfähigkeit der Freiheitlichen Partei zu
erweisen. Damit hat sich auch Schüssels Glauben als trügerisch
herausgestellt, Haider domestizieren zu können. (...) Es bleibt also
alles beim Alten: Nur Haider ist die FPÖ. Doch Haiders Sieg über
seine früheren Gefolgsleute - die seine Aufforderung, politisch
erwachsen zu werden, ernst genommen hatten - ist trügerisch. Zwar hat
Haider vorgeführt, wer in der FPÖ das Sagen hat, doch nun muss er sie
auch in die unausweichlichen Neuwahlen führen. Für die gilt in
Österreich die von der Demoskopie verifizierte Regel, dass sie
verliert, wer sie vom Zaun gebrochen hat. Der konsternierte
Koalitionspartner ÖVP, besonders ihr Vorsitzender Schüssel, kann nur
hoffen, vom Stimmenrückgang der FPÖ stärker zu profitieren als
andere, insbesondere die SPÖ. (...) Für Schüssel und Fraktionschef
Andreas Khol wird die Luft sehr dünn (...) Der gnadenlose Umgang mit
ihren Oberen hat in der ÖVP Tradition. Wie die Demontage
Riess-Passers zeigt, wird sie darin nur von der Haider-FPÖ
übertroffen."
"FTD - Financial Times Deutschland":
"Durch die geplatzte Liaison seiner ÖVP mit der FPÖ des Jörg
Haider hat Wolfgang Schüssel es immerhin geschafft, die
Rechtspopulisten zu entzaubern. Bei den Neuwahlen droht der FPÖ nun
eine herbe Schlappe, Haider könnte zum irrelevanten Zwischenrufer
degradiert werden. Vor zwei Jahren war Schüssel für seinen Pakt mit
der FPÖ scharf kritisiert worden, die EU behandelte Österreich
monatelang wie einen Schurkenstaat. Inzwischen hat sich klar gezeigt,
dass die Dämonisierung der Haider-Partei der falsche Kurs war - und
Schüssels Strategie der Entlarvung durch Einbindung die richtige.
(...) Viel vorzuweisen hat das schwarz-blaue Bündnis nicht: Zwar ist
das Land der NATO einen großen Schritt näher gekommen, und der Etat
wurde in Teilen gestrafft. Aber das Null-Defizit 2001 stützte sich
auf Privatisierungserlöse und Gebührenerhöhungen. Die
Arbeitslosigkeit steigt, die Konjunktur lahmt, und die
Verwaltungsreform war ein Rohrkrepierer."
"New York Times":
"Der österreichische Kanzler, Wolfgang Schüssel, hat Neuwahlen
ausgerufen um eine Regierungskrise zu beenden die durch einen Streit
bei seinem weit rechts stehenden Koalitionspartner, Jörg Haiders FPÖ,
entstanden ist. Haider nützte eine Kontroverse über die Steuerpolitik
um seine Kontrolle über die Partei wieder zu bestätigen und die
Rücktritte von drei wichtigen Ministern zu erzwingen, die zu seinen
Rivalen wurden: Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister
Karl-Heinz Grasser und Verkehrsminister Mathias Reichhold. Peter
Westenthaler, Fraktionschef der Partei im Parlament, hat sich auch
zurückgezogen.
... Haiders Partei war erfolgreich, weil er Anti-Ausländer-,
Anti-EU und wie ihm vorgeworfen wird auch antisemitische Haltungen
vertritt.... Die Kompromisse, die eine Regierungspartei eingehen
muss, und die Beachtung wichtiger Minister wie Riess-Passer durch die
Medien, haben Haider gestört und die Unterstützung für die Partei
geschmälert. Unter Riess-Passer hat die Partei ihr Image als
politische Heimat für Rassisten, Ausländerfeinde und Antisemiten
abgebaut.
Haider hat regelmäßig gegen die Politik der Regierung opponiert,
obwohl seine Partei in ihr ein integraler Bestandteil war. Er drohte
wegen eines Kernkraftwerks mit einem Veto gegen die tschechische
EU-Mitgliedschaft, obwohl die Regierung erklärte kein Veto zu
erheben. Er besuchte Saddam Hussein, und er wandte sich gegen
Regierungspläne eine Steuersenkung zu verschieben, um damit den
Wiederaufbau nach dem Hochwasser zu finanzieren - der Grund für die
jüngste Krise.
... Die FPÖ wird am 20. Oktober einen Parteitag abhalten um ihren
Kurs zu bestimmen. Haider strebt eine anti-europäische Politik an,
gegen die EU, ihre Regeln und Bürokraten, und gegen die bevorstehende
EU-Erweiterung, die seinen Worten nach Österreich mit neuen
Einwanderern überschwemmen wird."
"Handelsblatt":
"Der Plan von Bundeskanzler Schüssel, den als rechtspopulistisch
geltenden kleineren Koalitionspartner FPÖ zu zähmen, ist gescheitert.
Mit fast anarchistisch anmutenden Zügen hat Jörg Haider seine
Oppositionsarbeit von Kärnten aus auch gegen die eigene Partei in
Wien fortgesetzt und gezeigt, dass die One-Man-Show FPÖ derzeit kaum
regierungsfähig ist - vielleicht auch deshalb, weil Haider die
Oppositionsrolle lieber ist. Haider setzt auf seine Basis. Und auch
die scheint das Regierungsprogramm von FPÖ und Volkspartei nicht mehr
tragen zu wollen. (...) Haider macht schon lange Front gegen die
EU-Erweiterung, jetzt, im Wahlkampf, sicherlich noch mehr."
"Liberation":
"Die Kontrollübernahme der FPÖ durch Haider und die 'Harten' in
der Partei, die sich seit mehreren Wochen in einem offenen Krieg mit
der von Riess-Passer und ihren Ministern verfolgten gemäßigten Linie
befanden, machte eine Fortsetzung der 'Kohabitation' in Bezug auf
heikle Themen wie die Defizitverringerung und EU-Erweiterung
unmöglich. Umso mehr als vorgezogene Neuwahlen vielleicht die einzige
Hoffnung für Schüssel darstellen, seinen Sessel als Bundeskanzler für
eine zweite Legislaturperiode zu behalten. Zumal er weiß, dass die
Sozialdemokraten niemals mit ihm regieren wollen, bleibt sein
einziger möglicher Partner die extreme Rechte. Aber diese darf nicht
zu schwach sein, da die ÖVP mit nicht mehr als etwa 30 Prozent der
Stimmen rechnen kann. Nun kann aber nur eine von Jörg Haider auf
einer radikalen Linie geführte FPÖ hoffen, 22 bis 23 Prozent zu
erhalten, während es heute höchstens 20 Prozent wären".
"Le Parisien":
"Diese Entscheidung (vorgezogene Wahlen herbeizuführen, Anm.)
beendet eine im Februar 2000 gebildete Koalition aus Konservativen
und Populisten, deren Galionsfigur, der dämonische Jörg Haider,
beschuldigt wurde, neonazistische Ideen zu verteidigen. Dies hatte es
Österreich eingebracht, von Europa geächtet zu werden. (...) Die
pragmatische politische Linie der zurückgetretenen
FPÖ-Regierungsmitglieder und deren Beschluss, einem Aufschub der
geplanten Steuerreduktion zuzustimmen, hat Haider nicht geduldet.
Sich der Unterstützung seiner Parteibasis gewiss, hat er gefordert,
dass diese Reform, die eines der Wahlversprechen darstellte,
unmittelbar durchgeführt werde. Er hat so seine alten Freunde zu Fall
gebracht, indem er sie zum Rücktritt zwang. In der Hoffnung, dass
seine Partei, die gegenwärtig 20 Prozent der Wahlabsichten hat,
gestärkt aus den Wahlen hervorgeht."
"El Mundo":
"Jörg Haider, der historische Führer der fremdenfeindlichen
Freiheitlichen Partei, hat bewusst auf ein Ende der Koalition
hingearbeitet. Die Partei warf ihren eigenen Ministern vor, eine zu
gemäßigte Politik betrieben zu haben. Nun möchte Haider die Partei
wieder unter seine Kontrolle bringen und sie auf einen
extremistischen Kurs zurückführen. Davon verspricht er sich eine
Wiederholung des Erfolgs bei den vorigen Wahlen. Dies ist jedoch ein
riskantes Spiel. Denn derzeit scheint die FPÖ weit entfernt von jener
Zustimmung, die sie 1999 zur zweitstärksten Partei werden ließ.
Hoffentlich erinnern sich die österreichischen Wähler noch daran,
welche Empörung Haiders Wahlerfolg damals in Europa ausgelöst hatte."
"La Repubblica":
"Krieg unter den Chefs der Parteien der Regierungsmehrheit,
unnötige Konsultationen, Streit hinter den Kulissen, Regierungskrise,
vorgezogene Wahlen: Es könnten Berichte aus dem Italien der 80-er
Jahre sein, dabei ist es das Österreich von heute. Die
Mitte-Rechts-Koalition aus Schüssels ÖVP und Haider, charismatischer
Führer der FPÖ, ist tot. Unsanierbare Konflikte innerhalb der FPÖ
haben den Pakt zwischen den beiden Parteien verurteilt (...) Als vor
zwei Jahren Schüssel und Haiders Partei den Regierungspakt schlossen,
entstand die umstrittensten Exekutive Westeuropas (...) Die EU
verhängte diplomatische Sanktionen gegen Wien, die dann zurückgezogen
wurden, nachdem das Kabinett demokratische Garantien gegeben hatte.
Niemand hätte aber mit einem derart verfrühten Tod des Bündnisses
gerechnet".
"Corriere della Sera":
"Jörg Haider hat den Konflikt mit seiner treuen Vizekanzlerin
Susanne Riess-Passer verschärft. Er hat den Putsch gegen die
Regierung beschlossen. Dafür hat er wieder das Kommando der Truppen
übernommen. Die Spaltung in seiner Partei war ohnehin seit längerem
offensichtlich. Auf einer Seite stehen Riess-Passer (die sich in
ihrer Rolle als Lady der Wiener High Society immer wohler fühlt), die
Spitze der Partei und die Minister, die sich ihrer institutionellen
Rolle treu zeigen. Auf der anderen Seite steht Haider, der ohne
Funktionen in der Regierung und in der Partei ist, aber auf seine
Rolle als spiritueller Führer und auf seine populistische Parolen
nicht verzichtet".
"Le Soir":
"Ein Wahlkampf in einem Mitgliedsland mit dem populistischen und
ausländerfeindlichen Führer, der Jörg Haider ist, könnte Schäden
verursachen. Natürlich werden die Kassandras argumentieren, dass
dieser Tod (der Koalition, Anm.) vorauszusagen war, dass man nicht
ungestraft mit Jörg Haider einen Pakt schließt. Das Ende der
Regierung Schüssel zeigt die Schwierigkeit für eine traditionelle
Partei mit Nationalisten zu regieren, unabhängig davor ob sie als
Populisten oder als Extrem Rechte qualifiziert werden".
De Standaard":
"Sie (die Österreicher) bekamen zweieinhalb Jahre eine Regierung,
die sich selber als Erneuerer ausrief, die aber nun an die Grenzen
von Jörg Haiders konstruktivem Denken gestoßen ist. 'Hatten wir euch
das nicht gesagt?' tönt es nun aus Brüssel (...) Zweifellos bleiben
die unschönen Seiten der FPÖ-Regierungsteilnahme länger im Gedächtnis
als das unabgeschlossene Modernisierungsprojekt: Die politische
Debatte, die manchmal unflätig wurde, das laufende Abgleiten mancher
FPÖler in eine nazi-freundliche Rhetorik und die Weigerung von
Kanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer,
dagegen aufzutreten, sowie die ewigen Manöver von Haider, um die
Österreicher mit populistischen Standpunkten zu locken".
(APA)