Inland
"Die Zeit": "Haider gebührt Dank"
"Nach FPÖ-Putsch zeigt sich Rechtspopulismus wieder unverhüllt"
Hamburg/Wien - "Es wird eng für den Kanzler", analysiert die
deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" in ihrer neuesten Ausgabe die
Position von ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel nach dem Scheitern der
schwarz-blauen Regierungskoalition. "Er hat gehandelt und stellt sich
der Wahl. Nicht, dass er eine Alternative gehabt hätte. Dennoch hat
er Jörg Haider offenbar überrascht. Der hatte Schüssel selbst diese
verzweifelte Flucht nach vorn nicht zugetraut. Aber Kanzler wird
Schüssel nur bleiben, wenn er entweder die ÖVP zur stärksten Partei
macht - was nicht wahrscheinlich ist -, oder die havarierte Koalition
mit der verbliebenen Schmisse-FPÖ fortsetzt. (...) Wie Letzteres
klappen soll, ist schwer vorstellbar.""Klarheit geschaffen"
"Der ehemalige SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky, dessen Bild sich
angesichts der herrschenden Realitäten zu verklären beginnt, hatte zu
seinen schlechtesten Zeiten bessere Werte als Schüssel heute", heißt
es in dem Artikel. Haider gebühre "irgendwie auch Dank": Der Kärntner
Landeshauptmann habe "Klarheit geschaffen" und "die Legende vom
'rechtsliberalen', 'libertären' oder sonst irgendwie postmodernen
'Phänomen' des Rechtspopulismus demaskiert. Zwei Jahre nach der
Regierungsbildung von Wien, nach den zwiespältigen Sanktionen der 14
EU-Staaten schließt sich nun der Kreis: Der Wiener Maskenball ist zu
Ende, das Original kehrt unverhohlen zurück..."
"Das Parteivolk ist eins mit ihm, die Parteichefin und
Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, bis zuletzt ihrem Schöpfer und
Mentor geradezu unterwürfig ergeben, wurde in Abwesenheit verhöhnt,
geteert und gefedert. Wo Haider von Basis und von Demokratie spricht,
hat ein Führerputsch stattgefunden, nach klassischem Muster, so
gnadenlos und elitär wie eh und je in der Menschheits- und vor allem
Parteiengeschichte, nur nicht so blutig wie in revolutionären oder
totalitären Zeiten, als die Unterlegenen im Machtkampf nicht nur den
Job, sondern auch den Kopf verloren."
Schluss mit ...
Die FPÖ fordere "Schluss mit dem Schmusekurs gegenüber Prag, wie
ihn Schüssel fährt, Schluss mit der Ost-Erweiterung der EU, Schluss
mit den Nettozahlungen und, wenn's sein muss, Schluss mit der
EU-Mitgliedschaft. Schüssel will das verhindern. Lassen wir das mit
der 'Dritten Republik' und anderen Haider-Ideen, die er noch nie für
besonders seriös gehalten hat. Sowieso hat der christdemokratische
Berufspolitiker, Hobbykarikaturist und Cellospieler Schüssel 'den
Haider' noch nie sehr ernst genommen. Sich dauernd wegen des
Kärntners rechtfertigen zu müssen, hat ihm die zweieinhalb Amtsjahre
fast so vergällt wie die Zeit als Vizekanzler neben dem
Sozialdemokraten Viktor Klima. Dem fühlte er sich intellektuell so
sehr überlegen, dass es weh tat. Mit Haider fehlte der tägliche
Nahvergleich. Aber dass er den Rumpelstilz zähmen würde, das dachte
er schon. Nun nicht mehr. Jetzt spricht Schüssel von 'Chaos'. Und
sagt: 'Mir ist wehmütig zumute.' Dumm gelaufen." (APA)