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Eisenhüttenstadt war eines der ehrgeizigsten Vorzeigeprojekte der DDR. 1950 als "erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden" geplant, wurde es innerhalb kürzester Zeit als eine künstliche Mustersiedlung aus dem märkischen Sand gestampft. Ein riesiges Stahlwerk entstand, daneben eine Wohnstadt für Zehntausende. Aus dem ganzen Land wurden Leute an die Oder gelockt, "Stalinstadt", so der Name der Siedlung bis 1961. Inzwischen liegt längst brach, was einst Vollbeschäftigung garantierte: Bei EKO-Stahl, dem größten Arbeitgeber, kommen gerade noch ein paar Tausend unter. Wenn man abends durch die leeren Straßen spaziert, mutet die erste und einzige sozialistische Stadt an wie ein DDR-Freilichtmuseum.

Foto: Archiv

Dass in Eisenhüttenstadt inzwischen genauso gut nachzuvollziehen ist, wie die DDR innen hätte aussehen sollen, ist allerdings Absicht. In der früheren "Kindertagesstätte 1", einem flachen Gebäude mit bunter Hinterglasmalerei, wurde das "Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR" eingerichtet, ein Museum, in dem 70.000 Alltagsgegenstände zusammengetragen wurden. Ein Teil davon kann in der Ausstellung "abc des Ostens - 26 Objektgeschichten" besichtigt werden.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Und so also hätte das Interieur der DDR sein können: Rote-Ringe-Porzellan in einem vielteiligen Geschirrset. So genannte Tempo-Linsen, die frühe Form der Fünfminutenterrine. Schrankwände aus Pressspan. Elektrische Maniküresets in Orange, von der Form her irgendwo zwischen Ufo und Zahnarztutensilien. Bücherregale, die gleichzeitig Standuhr waren. Staubsauger, die "Purimix" hießen, weil sie sich in ein Kaffeemahlwerk oder in einen Mixer verwandeln ließen. Erzeugt wurde alles, von A wie Alfi-Aluminium bis Z wie Zekiwa-Kinderwagen.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Es gab das Schallwaschgerät "Waschbär", "Florena"-Creme und natürlich die Kaffeemischung "Rondo".

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Es ist eine künstliche Welt des Überflusses, die in DDR-Eigenbau entsteht. Eine Welt des Konsums, eine Wettbewerbsgesellschaft, in der für Schreibgeräte von "Markant" ("Im Osten der Gigant") ebenso offensiv geworben wurde wie für das "Diamant"-Rad ("Ist der Weg auch weit, Kleinigkeit, jederzeit startbereit"). Doch im selben Maß wie die Ausstellung dem SED-Motto "Wohlstand, Schönheit, Glück" nachzuspüren versucht, dekonstruiert sie es auch: Die Willkür der alphabetischen Ordnung entspricht der Willkür bei der tatsächlichen Verteilung.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Die staatlichen Betriebe beschäftigten "Formgestalter", in Fachmedien wie der Zeitschrift "Kultur im Heim" oder der Illustrierten "Zeit im Bild" wurden aktuelle, auch internationale Trends rezipiert und neue Gebrauchsgegenstände getestet. Mit Kritik am volkseigenen Design wurde ebenfalls nicht hinterm Berg gehalten: "Die Schwappsicherheit des Kännchens muss erhöht werden." Zum Klassiker avancierte das Mitropa-Geschirr dennoch.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Denn die einzigen Orte, in denen sich das Warenangebot einigermaßen mit den "Ministerratsbeschlüssen zur weiteren Erhöhung des Lebensstandards" deckten, waren die "Intershops", doch dort konnte man nur für Westgeld einkaufen. Von Dingen wie dem Füller "de Luxe", der anlässlich des 75. Geburtstags von Staatschef Walter Ulbricht erzeugt wurde, konnten die meisten daher nur träumen.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Der DDR-Führung lag durchaus an Ästhetik. Getreu dem Motto "Überholen, ohne einzuholen" konnte der Osten bei der Entwicklung von Design mit dem Westen eine Zeit lang Schritt halten. Vergleicht man die Entwürfe aber dann mit dem, was damals in anderen Ländern en vogue wurde, so scheint das DDR-Design auch nur eine Spielart jener funktionalen Moderne zu sein, wie sie in den 50er-Jahren von Skandinavien bis Italien ihren Ausdruck im Design fand. Zwar war in der DDR nicht explizit von Bauhaus die Rede, in der zurückgenommenen, strengen Linie von Gegenständen des täglichen Lebens sind jedoch viele Elemente davon zu entdecken. Nicht zuletzt ließen viele westliche Firmen in Ostdeutschland produzieren - wenn die Produkte auch nicht mit der Aufschrift "Made in GDR" ihren Weg zum Verbraucher im Westen fanden, sondern als Karstadt-Föhn oder IKEA-Lampe.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Dass Design aus der DDR früher immer wirkte, als sei die Zeit in den sechziger, siebziger Jahren stehen geblieben (und heutzutage aus dem selben Grund heiß begehrt ist), hat seine Ursache in der Honecker-Zeit. In einem durch Fehlplanung und Bürokratie immer schwerfälliger gewordenen Wirtschaftssystem musste irgendwann die Innovation der Versorgung hintangestellt werden. Es wurde massenweise produziert, jeder sollte zumindest bekommen, was er brauchte. Wie es aussah, war egal. Ab 1970 wurden auch die Kontakte nach außen gekappt, internationale Trends konnten nicht mehr rezipiert werden.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Erst in den achtziger Jahren gab es wieder neue Ansätze, die sich beispielsweise in einem Pseudo-Art-Deco-Stil niederschlugen. Plastik hielt seinen Einzug in die Warenwelt, den immer gleichen schwarzen Kassettenrecorder (der natürlich "Rekorder" hieß) gab es nun auch in einer Art Ghetto-Blaster-Variante. Ansonsten bestimmte weiter das realsozialistische Bewusstsein das Design: Ein Gesetz, wonach in jedem staatlichen Betrieb ein bestimmter Prozentsatz der Produktion der Bevölkerung zugute kommen musste, brachte die absurdesten Kombinationen hervor.

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

DDR-Designgeschichte muss daher als Geschichte ihrer Produktionsbedingungen gelesen werden. Die Ausstellung widmet den Unternehmen, die das jeweilige Produkt erzeugt haben, viel Platz. Jedes Firmen-Schicksal, das hier erzählt wird, kann exemplarisch für die DDR stehen. Die Firma Rönsch in Dresden etwa stellte Küchengeräte her, die zu 77 Prozent exportiert wurden, und investierte viel Geld in die Weiterentwicklung. Als die Besitzer 1973 auf Urlaub waren, wurde der Betrieb quasi über Nacht verstaatlicht

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Am eindrucksvollsten erzählt die Ausstellung vom Erinnern. Das "abc des Ostens" bildet exakt das ab, was eine Gesellschaft an ihrer Vergangenheit für wichtig hält. Warum hebt jemand etwa eine wild gemusterte Kittelschürze aus Synthetik auf? Es sind keine normalen Gebrauchsgegenstände, die in Eisenhüttenstadt zu sehen sind, sondern das Resultat der Schürfarbeit in der eigenen Geschichte. (DER STANDARD/rondo/13/9/2002)

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR
Di-Fr 13 bis 18 Uhr, Sa, So 10 bis 18 Uhr
Erich-Weinert-Allee 3
Eisenhüttenstadt

Link

alltagskultur-ddr.de

Ein umfangreiches Buch über ostdeutsche Designklassiker mit zahlreichen Hintergrund-Informationen von Günter Höhne ist unter dem Titel "Penti, Erika und Bebo Sher - Klassiker des DDR-Designs" erschienen; ISBN 3-89602-320-9, 276 Seiten, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. EURO 25,9

Foto: Rüdiger Südhoff, Eisenhüttenstadt.

Eisenhüttenstadt war eines der ehrgeizigsten Vorzeigeprojekte der DDR. 1950 als "erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden" geplant, wurde es innerhalb kürzester Zeit als eine künstliche Mustersiedlung aus dem märkischen Sand gestampft. Ein riesiges Stahlwerk entstand, daneben eine Wohnstadt für Zehntausende. Aus dem ganzen Land wurden Leute an die Oder gelockt, "Stalinstadt", so der Name der Siedlung bis 1961. Inzwischen liegt längst brach, was einst Vollbeschäftigung garantierte: Bei EKO-Stahl, dem größten Arbeitgeber, kommen gerade noch ein paar Tausend unter. Wenn man abends durch die leeren Straßen spaziert, mutet die erste und einzige sozialistische Stadt an wie ein DDR-Freilichtmuseum.

Dass in Eisenhüttenstadt inzwischen genauso gut nachzuvollziehen ist, wie die DDR innen hätte aussehen sollen, ist allerdings Absicht. In der früheren "Kindertagesstätte 1", einem flachen Gebäude mit bunter Hinterglasmalerei, wurde das "Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR" eingerichtet, ein Museum, in dem 70.000 Alltagsgegenstände zusammengetragen wurden. Ein Teil davon kann in der Ausstellung "abc des Ostens - 26 Objektgeschichten" besichtigt werden.

Und so also hätte das Interieur der DDR sein können: Rote-Ringe-Porzellan in einem vielteiligen Geschirrset. So genannte Tempo-Linsen, die frühe Form der Fünfminutenterrine. Schrankwände aus Pressspan. Elektrische Maniküresets in Orange, von der Form her irgendwo zwischen Ufo und Zahnarztutensilien. Bücherregale, die gleichzeitig Standuhr waren. Staubsauger, die "Purimix" hießen, weil sie sich in ein Kaffeemahlwerk oder in einen Mixer verwandeln ließen. Erzeugt wurde alles, von A wie Alfi-Aluminium bis Z wie Zekiwa-Kinderwagen. Es gab das Schallwaschgerät "Waschbär", "Florena"-Creme und natürlich die Kaffeemischung "Rondo".

Es ist eine künstliche Welt des Überflusses, die in DDR-Eigenbau entsteht. Eine Welt des Konsums, eine Wettbewerbsgesellschaft, in der für Schreibgeräte von "Markant" ("Im Osten der Gigant") ebenso offensiv geworben wurde wie für das "Diamant"-Rad ("Ist der Weg auch weit, Kleinigkeit, jederzeit startbereit"). Doch im selben Maß wie die Ausstellung dem SED-Motto "Wohlstand, Schönheit, Glück" nachzuspüren versucht, dekonstruiert sie es auch: Die Willkür der alphabetischen Ordnung entspricht der Willkür bei der tatsächlichen Verteilung. Denn die einzigen Orte, in denen sich das Warenangebot einigermaßen mit den "Ministerratsbeschlüssen zur weiteren Erhöhung des Lebensstandards" deckten, waren die "Intershops", doch dort konnte man nur für Westgeld einkaufen.

Von Dingen wie dem Füller "de Luxe", der anlässlich des 75. Geburtstags von Staatschef Walter Ulbricht erzeugt wurde, konnten die meisten daher nur träumen.

Die staatlichen Betriebe beschäftigten "Formgestalter", in Fachmedien wie der Zeitschrift "Kultur im Heim" oder der Illustrierten "Zeit im Bild" wurden aktuelle, auch internationale Trends rezipiert und neue Gebrauchsgegenstände getestet. Mit Kritik am volkseigenen Design wurde ebenfalls nicht hinterm Berg gehalten: "Die Schwappsicherheit des Kännchens muss erhöht werden." Zum Klassiker avancierte das Mitropa-Geschirr dennoch.

Der DDR-Führung lag durchaus an Ästhetik. Getreu dem Motto "Überholen, ohne einzuholen" konnte der Osten bei der Entwicklung von Design mit dem Westen eine Zeit lang Schritt halten. Vergleicht man die Entwürfe aber dann mit dem, was damals in anderen Ländern en vogue wurde, so scheint das DDR-Design auch nur eine Spielart jener funktionalen Moderne zu sein, wie sie in den 50er-Jahren von Skandinavien bis Italien ihren Ausdruck im Design fand. Zwar war in der DDR nicht explizit von Bauhaus die Rede, in der zurückgenommenen, strengen Linie von Gegenständen des täglichen Lebens sind jedoch viele Elemente davon zu entdecken. Nicht zuletzt ließen viele westliche Firmen in Ostdeutschland produzieren - wenn die Produkte auch nicht mit der Aufschrift "Made in GDR" ihren Weg zum Verbraucher im Westen fanden, sondern als Karstadt-Föhn oder IKEA-Lampe.

Dass Design aus der DDR früher immer wirkte, als sei die Zeit in den sechziger, siebziger Jahren stehen geblieben (und heutzutage aus dem selben Grund heiß begehrt ist), hat seine Ursache in der Honecker-Zeit. In einem durch Fehlplanung und Bürokratie immer schwerfälliger gewordenen Wirtschaftssystem musste irgendwann die Innovation der Versorgung hintangestellt werden. Es wurde massenweise produziert, jeder sollte zumindest bekommen, was er brauchte. Wie es aussah, war egal. Ab 1970 wurden auch die Kontakte nach außen gekappt, internationale Trends konnten nicht mehr rezipiert werden. Erst in den achtziger Jahren gab es wieder neue Ansätze, die sich beispielsweise in einem Pseudo-Art-Deco-Stil niederschlugen. Plastik hielt seinen Einzug in die Warenwelt, den immer gleichen schwarzen Kassettenrecorder (der natürlich "Rekorder" hieß) gab es nun auch in einer Art Ghetto-Blaster-Variante. Ansonsten bestimmte weiter das realsozialistische Bewusstsein das Design: Ein Gesetz, wonach in jedem staatlichen Betrieb ein bestimmter Prozentsatz der Produktion der Bevölkerung zugute kommen musste, brachte die absurdesten Kombinationen hervor.

DDR-Designgeschichte muss daher als Geschichte ihrer Produktionsbedingungen gelesen werden. Die Ausstellung widmet den Unternehmen, die das jeweilige Produkt erzeugt haben, viel Platz. Jedes Firmen-Schicksal, das hier erzählt wird, kann exemplarisch für die DDR stehen. Die Firma Rönsch in Dresden etwa stellte Küchengeräte her, die zu 77 Prozent exportiert wurden, und investierte viel Geld in die Weiterentwicklung. Als die Besitzer 1973 auf Urlaub waren, wurde der Betrieb quasi über Nacht verstaatlicht.

Am eindrucksvollsten erzählt die Ausstellung vom Erinnern. Das "abc des Ostens" bildet exakt das ab, was eine Gesellschaft an ihrer Vergangenheit für wichtig hält. Warum hebt jemand etwa eine wild gemusterte Kittelschürze aus Synthetik auf? Es sind keine normalen Gebrauchsgegenstände, die in Eisenhüttenstadt zu sehen sind, sondern das Resultat der Schürfarbeit in der eigenen Geschichte. []

Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, Di-Fr 13 bis 18 Uhr, Sa, So 10 bis 18 Uhr, Erich-Weinert-Allee 3, Eisenhüttenstadt. Infos: www.alltagskultur-ddr.de
Ein umfangreiches Buch über ostdeutsche Designklassiker mit zahlreichen Hintergrund-Informationen von Günter Höhne ist unter dem Titel "Penti, Erika und Bebo Sher - Klassiker des DDR-Designs" erschienen; ISBN 3-89602-320-9, 276 Seiten, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. EURO 25,9