Thomas Rottenberg

Wien - Das Dilemma ist eigentlich gar keines. Nicht, wenn die Terminologie geklärt ist: Es gibt etwas, das "Volksmusik" heißt. Das ist grauenhaft. Und dann gibt es Volksmusik. Ein Nischenprogramm.

Bloß: Wie groß eine Nische sein kann, soll oder darf, ist nirgendwo festgeschrieben. Darum bitten Gertraud Schaller, Wolfgang Sturm und Herbert Zotti ab 30. September schon zum dritten Mal zum Wienerliedfestival "wean hean" - und verkünden schon jetzt, dass zumindest jene Veranstaltung, bei der Prominente und Politiker selbst singen müssen/dürfen, "längst" restlos ausverkauft sei.

Aber darum - also um bekannte Gesichter hinter dem Notenblatt - geht es nicht. "wean hean" versteht sich nämlich nicht bloß als fröhlicher Lebensbeweis für die Quicklebendigkeit der (Wiener) Volksmusik, sondern will ein bisserl mehr, als alte Klänge an traditionellen Orten an neue Ohren zu bringen: Volksmusik, zeigen Zotti, Sturm und Schaller (institutionalisiert als "Wiener Volksliedwerk"), ist ein lebender Organismus. Der verändert sich, nimmt Neues auf und spiegelt gesellschaftliche Befindlichkeiten wider.

Drum beschränkt sich das Festival auch nicht auf, "Klassiker" wie Roland Neuwirth, Karl Hodina oder Trude Maly - sondern setzt zusätzlich Akzente: Unter dem Signet "zuagrast & zsammgschwast" zeigen etwa die Rounder Girls oder Lakis & Achwach, ihre Definition des Begriffes "Wienerlied". Unter "Wean Jazz" spielt Alegre Corrêa im Porgy & Bess auf und unter dem Titel "Sous le Ciel de Paris" exerzieren Karl Hodina und Maurice Le Gaulois einander vor, was die jeweilige lokale Hausmusik an Jazz-und Symbiosepotenzial zur Partnerstadt hat. Um nur ein paar Veranstaltungen aufzuführen.

Die Klassik des Wienerliedes kommt auch nicht zu kurz: Der Titel "Ohne Wiat ka Musi" dürfte für sich stehen - aber auch Bergwelt und Sennerin kommen zu ihrem Recht: Beim Eröffnungsfest werden die Gipfel des Semperdepots erklommen. Jodelnd. Mit Jause - aber ganz ohne Moik & Co.(DER STANDARD, Printausgabe, 14./15. 9. 2002)