Lobschwall des Bundeskanzlers für die Arbeit der Koalition - Kritik der Opposition
Redaktion
,
Wien - Mit einem Lobschwall für die Arbeit des eigenen
Regierungsteams hat Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) am Donnerstag
die Bilanz-Debatte im Nationalrat eröffnet. In exakt 27 Minuten und
25 Sekunden präsentierte der VP-Obmann ein "Best of" der
schwarz-blauen Koalitionsarbeit. Gleichzeitig sprach Schüssel
neuerlich ein Bekenntnis zur Beschaffung von Abfangjägern aus. Im
Anschluss verabschiedete sich Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer aus
dem Hohen Haus: "Sie werden mir fehlen. Leben Sie wohl".
Schüssel zog über die vergangenen zweieinhalb Jahre
Regierungsarbeit eine euphorische Bilanz. Kaum ein Fehler fiel dem
Kanzler ein, dafür umso mehr Projekte, die Schwarz-Blau erfolgreich
umgesetzt habe. Hervorgehoben wurden von Schüssel unter anderem das
"Jahrhunderprojekt" Familienhospizkarenz, die Abfertigung neu, die
Forschungs- und Entwicklungs-Projekte, die rasche Hochwasser-Hilfe,
die österreichische Initiative zu einheitlichen AKW-Standards sowie
das Erreichen des Nulldefizits im Vorjahr. Dass man jetzt kurzfristig
von diesem Kurs abgekommen sei, begründete er mit zu optimistischen
Wachstums-Annahmen und der Hochwasser-Katastrophe. Krisengeschrei sei
jedenfalls nicht angebracht.
Ein deutliches Bekenntnis sprach der VP-Obmann in Sachen
EU-Osterweiterung aus: "Europa ist unser Schicksal, unsere
Herausforderung und unsere große Chance". Diese Chance sei jetzt zu
nützen. Auch bei der Abfangjäger-Beschaffung bliebt der VP-Chef auf
Linie. Die Entscheidung sei zwar auf Eis gelegt, da es "fair" sei,
diese der nächsten Regierung zu überlassen, jedoch betonte Schüssel,
dass man auch in schwierigen Zeiten nicht auf die Sicherheit
vergessen dürfe. Sicherheit sei nichts für billigen Populismus.
Österreichs Souveränität dürfe nicht aufgegeben werden.
In seiner Rede dankte Schüssel jedem Regierungsmitglied einzeln,
Respekt und Anerkennung sprach er den während der schwarz-blauen
Koalition tätigen Klubchefs Andreas Khol (V) und Peter Westenthaler
(F) aus. Lob hatte er zudem für die Sozialpartner über wegen deren
Mitwirkung bei der Abfertigung neu und dem
Jugend-Beschäftigungs-Pakt. Ans Ende seiner Ansprache stellte
Schüssel den Satz: "Der Wähler ist am Wort, wir haben unsere Arbeit
getan", was von der ÖVP-Fraktion - unterstützt durch die
freiheitlichen Abgeordneten Thomas Prinzhorn und Harald Ofner - mit
Standing Ovations beklatscht wurde.
Emotionaler gestaltete sich anschließend der Auftritt
Riess-Passers, die sich nach einem Bekenntnis zu einer nachhaltigen
Hochwasserhilfe von den Parlamentariern verabschiedete: "Mein
politischer Weg geht jetzt zu Ende. Da herrscht ein bisschen Wehmut
aber auch viel Dankbarkeit". Sie habe in diesem Haus "15 sehr
spannende und interessante Jahre" erlebt.
Ihre Rede im Rahmen der Bilanzdebatte wolle sie einer Sache
widmen, die ansonsten im politischen Alltag meist nicht zum Zug
komme, nämlich dem Danke-sagen. So würdigte die scheidende
Vizekanzlerin denn auch ihre Regierungskollegen, den FPÖ-Klub - vor
allem den ebenfalls abtretenden Klubchef Peter Westenthaler, der mit
ihr "im wahrsten Sinne des Worts" 15 Jahre durch dick und dünn
gegangen sei, ihre Kabinettsmitarbeiter und sogar die Opposition:
"Weil Regieren ohne Opposition wäre eine langweilige Aufgabe". Vom
Plenum wurde die Rede mit Applaus aller Fraktionen sowie Standing
Ovations von FPÖ und ÖVP aufgenommen.
Kritik der Opposition
Die Klubchefs der Oppositionsparteien SPÖ und Grüne, Alfred
Gusenbauer und Alexander Van der Bellen, haben am Donnerstag im
Nationalrat eine naturgemäß negativere Bilanz der vergangenen
zweieinhalb Jahre Schwarz-blau gezogen. Gusenbauer verwies vor allem
auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie eine herrschende "soziale
Kälte". Van der Bellen hätte sich von der ÖVP mehr "Leadership" in
Sachen EU-Erweiterung gewünscht. Anerkennende Worte fanden beide
hingegen für die scheidende Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer als
Person.
Gusenbauer
Gusenbauer warf Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) vor, sich in
seiner Bilanz auf falsche Vergleiche bezogen zu haben. Tatsächlich
habe sich Österreich seit Antritt der ÖVP-FPÖ-Regierung schlechter
entwickelt als der europäische Durchschnitt bei der Arbeitslosigkeit,
bei der Steuerbelastung, auch der Wirtschaftsmotor laufe langsamer
als im europäischen Schnitt.
Dazu komme, dass die Staatsschulden gestiegen seien: "Sie machen
neue Schulden, auch ohne die Hochwasserkatastrophe, auf die sie sich
ausreden. Sie machen neue Schulden, obwohl wir die höchsten Steuern
zahlen und obwohl es eine enorme Belastungspolitik für viele Menschen
in diesem Land gegeben hat." Finanzminister Karl-Heinz Grasser (F)
habe auch mangelndes Verantwortungsbewusstsein gezeigt, weil er kein
Budget für das kommende Jahr mehr vorgelegt habe.
Auch das soziale Gefüge habe sich negativ entwickelt: "Es sind die
Unterschiede zwischen Ärmeren und Reicheren größer geworden. Und der
breite Mittelstand dazwischen stagniert." Bei der Gesundheitspolitik
sei es nur um das Austauschen von Funktionären und um die Einführung
der Ambulanzgebühr gegangen. Schüssel habe als Konsequenz für die
Zukunft aber gezogen, dass er nach dem 24. November mit der gleichen
Regierung weiter machen wolle. Dies würde aber weiter Chaos und
weitere Abhängigkeit von den "Launen" des Kärntner Landeshauptmanns
Jörg Haider bdeuten.
Van der Bellen warf der ÖVP vor, in Sachen EU-Erweiterung zu wenig
"Leadership" gezeigt zu haben, die Haltung der Regierung sei "klein
kariert": "In der Frage der EU-Erweiterung haben Sie sich von den
Freiheitlichen anstecken lassen in der Zögerlichkeit." Beim
Anti-Temelin-Volksbegehren sei man haarscharf an einer
Regierungskrise vorbei geschrammt, auch die von der Regierung
geforderte siebenjährige Übergangsfrist für den Arbeitsmarkt sei eine
"überzogene Maßnahme". Möglicherweise werde durch die Neuwahlen nun
die Ratifizierung der Erweiterung erleichtert, "aber nur dann, wenn
die ÖVP nicht wieder mit der Haider-FPÖ liebäugelt. Wenn es sie dann
überhaupt noch gibt".
Van der Bellen
Massive Kritik übte Van der Bellen auch an der Integrationspolitik
der bisherigen Regierung. Die Zahl der älteren Menschen steige, die
der Arbeitskräfte sinke. Dagegen werde ein ganzes Maßnahmenpaket
nötig sein: "Eine gesteuerte und gezielte Zuwanderung in bestimmten
Bereichen wird eine der Maßnahmen sein." Entgegen dem Bild, das im
Ausland entstehe, glaube er nicht, dass Österreich ein
ausländerfeindliches Land sei, so der Bundessprecher, die Regierung
habe zudem Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit und für ältere
Arbeitnehmer unterlassen.
Kritik kam auch an den Postenbesetzungen. "Neu regieren heißt
nichts anderes als den rot-schwarzen Proporz durch den blau-schwarzen
zu ersetzen." Gezeigt habe sich dies etwa in der Causa Reinhart
Gaugg: "Gaugg hat den Ruf der FPÖ endgültig ruiniert - mit
Rückendeckung durch den Landeshauptmann von Kärnten." Verwundert
zeigte er sich, dass es sich die ÖVP habe gefallen lassen, wie
FPÖ-Volksanwalt Ewald Stadler die NS-Herrschaft mit der alliierten
Besatzung, kombiniert mit von der ÖVP geführten Regierungen,
gleichgesetzt habe: "Das haben sie sich gefallen lassen. Das ist
politische Leadership?"
Ganz anders ÖVP-Klubchef Andreas Khol. Er begann seine Bilanz mit
den EU-Sanktionen und ihrer Überwindung: "Wir haben den Sturm
bestanden und wir sind nicht in die Knie gegangen. Das war ein
schwerer Fehler der sozialistischen Internationale. Das war ein
schwerer Fehler, den wir korrigieren konnten." Auch die politische
Kultur sei besser geworden, es gebe einen besseren, offeneren,
transparenten Diskurs statt des "manchmal ein bisschen voreiligen
Diskurses". Es sei zudem gelungen, die Sozialpartnerschaft aus der
"zu tiefen Verflechtung mit der Parteipolitik" zu lösen.
Österreich sei aber auch "sozial gerechter" geworden, etwa mit der
Familienoffensive und dem Kindergeld, der Behindertenmilliarde sowie
dem Pflegegeld für Behinderte ab dem ersten Lebensjahr. Die
Steuerreform habe man freilich verschieben müssen: "Es war nicht
unsere Schuld, dass die Schleusen geöffnet wurden und Österreich im
Hochwasser fast ertrank." Überhaupt habe ihn die Solidarität der
Österreicher im Zusammenhang mit dem Hochwasser überzeugt: "Es ist
schön, Österreicher zu sein." Er betonte zudem, dass Österreich die
zweitniedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa habe. Und mit den
Beschlüssen an den letzten Plenartagen sollten jene Betriebe, die
Lehrlinge ausbilden, weiter gefördert werden.
(APA)
Forum:
Ihre Meinung zählt.
Die Kommentare im Forum geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen,
den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen
(siehe ausführliche Forenregeln),
zu entfernen. Benutzer:innen können diesfalls keine Ansprüche stellen.
Weiters behält sich die STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. vor, Schadenersatzansprüche
geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.