Am Donnerstag wurde dem US-Literaten Norman Mailer in Wien ein "Österreichisches Ehrenkreuz" verliehen: Gottlob gibt es daneben noch Bemerkenswerteres über ihn zu sagen
Redaktion
,
Wien - Übergangsepochen -
wir verspüren es gerade selbst
- sind meist Zeiten, in denen
in der Kunst "unreine", brüchige Elaborate eher Suchbewegungen vollziehen, als
aus gesicherter Perspektive
kristalline Formen zu entwickeln. In Frankreich nach den
napoleonischen Kriegen bedurfte es etwa erst der mitunter grob gedrechselten Romane von Dumas, Hugo oder Balzac, bis ein Gustave Flaubert
sich der
Erziehung des Herzens
zuwenden konnte. In den
USA nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lage ähnlich.
Auch den Literaturbetrieb
prägten Veteranen, Marodeure, Spekulanten, eingebettet in
eine Boheme, die sich (siehe
James Jones oder Truman Capote) gern mit den Pariser
Vorbildern vergangener Zeiten verglich. Gleichzeitig dominierte etwa in Reportagen
(Stichwort:
new journalism
)
oder ausufernden Prosaepen
(bis heute hält die Suche nach
der Great American Novel an)
ein unruhiger Blick. Ein Handkamera-Gestus, wenn man so
will, der limitierte Mittel mit
Direktheit wettmachte. Ein
Hang zur Herablassung, der
gleichzeitig nicht davor Halt
machte, in Subkulturen und
Drogenexzesse einzutauchen.
Norman Mailer war eine
zentrale Figur und Stimme in
dieser Bewegung. Dass er
meistens nur für seinen ersten
Roman
Die Nackten und die
Toten
(1948), sein Marilyn-
Monroe-Porträt und seine Reportage
The Fight
(über den
WM-Boxkampf Ali vs. Forman
in Kinshasa) gewürdigt wurde, wird seinem voluminösen
Werk in allen Hochs und Tiefs
nicht gerecht. Es ist aber auch
Folge einer verworrenen Publikationspraxis im deutschen
Sprachraum, die es unmöglich macht, ein solches Werk
kompakt verfügbar zu halten.
Es sei hier nur an Mailers
exzellenten Apollo-11-Bericht
A Fire on the Moon
(1970) erinnert, wie überhaupt an ein
umfangreiches "dokumentarisches" Oeuvre - bis herauf zu
einem
Vanity Fair
-Interview mit
Madonna, in dem er Facetten
des damals wegen
Erotica
heftig umstrittenen Superstars
wie kein anderer zutage förderte. Oder: Mailers
The Executioner's Song
(1979), basierend auf Interviews mit dem
Doppelmörder Gary Gilmore,
ist neben Capotes Kaltblütig
das vielleicht bedeutendste
Werk im Genre der so genannten True-Crime-Fiction. Dass
Mailer auf der Basis seines
Thrillers
Tough Guys Don't
Dance
(1983) auch einen
trashigen Spielfilm mit Ryan
O'Neal inszenierte - dem sei
hier auch hinzugefügt, dass er
einer der ersten Schriftsteller
war, die das New American
Cinema für sich entdeckten.
Und: Der Mann schrieb immerhin am Drehbuch für Jean-Luc Godards
Lear
-Film mit!
Längere Antworten
Auch das Alterswerk Mailers, das - ähnlich dem seines
Lieblingsfeindes Gore Vidal -
zunehmend Cinemascope-
Blicke auf die US-Geschichte
und Gegenwart anstrebt, bietet in all seiner schmökerhaften Überfülle wertvolles Material. Die CIA-Satire
Harloth's
Ghost
widerspricht im Umfang und in der Auslotung uneinsehbarer Verschwörungen
bewusst einer Haltung, die
Mailer gestern in Wien definierte: "Wir Amerikaner sind
einfache Leute, die keine Frage vertragen, deren Beantwortung mehr als zehn Sekunden
braucht. Wir haben einen Präsidenten, den wir verdienen."
Die Laudatio auf den heute
79-jährigen Autor hielt bei der
Verleihung des "Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse" übrigens Günther Nenning. Das passt sowohl zur
Skurrilität gerade dieser Auszeichnung für gerade diesen
Künstler als auch zur Tatsache, dass Mailer mit
Krone
-
Chef Hans Dichand seit Jahren
an einem neuen
Sisi
-Drehbuch arbeitet. Nenning: "Wie
die beiden zusammenpassen,
weiß ich nicht. Aber ich staune nicht, denn ich traue beiden alles zu." Und, so die
Agenturen: "Auch Bundeskanzler Schüssel freut sich
über das Projekt." Früher hätte
Mailer gegen solche Anbiederungen an Medien bärbeißige
Polemiken geschrieben. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2002)
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