Jan ist verblüfft. Normalerweise hätte er der Tatsache keine große Bedeutung beigemessen, dass ausgerechnet er als Pole in Wien unterwegs ist, um sich am Naschmarkt einen Döner zu kaufen. Und natürlich kennt er die Geschichte seines berühmten Landsmannes und Namensvetters Jan Sobieski in- und auswendig.Aber das hat er wirklich nicht erwartet - dass hier am Karlsplatz, im Historischen Museum der Stadt Wien, sterbliche Überreste des großen Kontrahenten von Sobieski lagern. Und zwar in einem schlichten Schrank: der Kopf von Kara Mustafa Pascha. Ja, den Schädel gebe es tatsächlich noch, wird im Historischen Museum bestätigt. Der befinde sich in einem Depotkasten und werde aus Pietätsgründen unter Verschluss gehalten und niemandem mehr hergezeigt. Ein Schädelknochen ohne Unterkiefer sei das, dem man dann nachträglich im 18. Jahrhundert noch eine Schnur quasi um den Hals gebunden habe. Aber diese seidene Schnur ist ganz sicher nicht das Original, das Kara Mustafa am 25. Dezember 1683 in Belgrad überreicht worden war, weil er bei der Belagerung Wiens versagt hatte. Nach der Hinrichtung des geschlagenen Großwesirs soll dann der Schädel aus dem Lager in Belgrad entwendet und nach Wien gebracht worden sein, heißt es. Aber was diesen Schädel betrifft, gehen die Meinungen auseinander. Von türkischer Seite etwa besteht überhaupt kein gesteigertes Interesse, diesen Kopf zu erhalten - und zwar nicht nur weil man naturgemäß wenig Interesse an Verlierern hat. Denn türkische Historiker weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das abgetrennte Haupt Kara Mustafas ja dem Sultan in Istanbul überbracht worden sei. Andere, nämlich hiesige Historiker, halten dem entgegen, es dürfte sich dabei nur um die ausgestopfte Kopfhaut gehandelt haben. Und der Schädel sei dann eben später von kaiserlichen Soldaten geraubt worden. Es ist übrigens nicht der einzige angebliche Knochen, der noch von diesem türkischen Heerführer aufbewahrt wird: Auch in Kremsmünster gibt es noch eine einschlägige Rippe. Aber die Zeiten, in denen so ein Schädel - wie noch in der Zwischenkriegszeit - als Beutestück und quasi als Trophäe der Öffentlichkeit präsentiert wurde, sind längst vorbei. (Roman Freihsl; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.09.2002)