Bogdan Bogdanovic war Partisane, Architekt und Bürgermeister von Belgrad. Er wurde zum Erzfeind Slobodan Milosevic', zum Verräter Großserbiens und zum Vertriebenen. Er blieb Surrealist und ein ewiger Spaziergänger: ein Durchwandler der Städte, der Zeiten und der eigenen Träume.

Der Surrealismus ist der "unsichtbare Strahl", der uns eines Tages unsere Gegner besiegen lassen wird.
André Breton, Erstens Manifest des Surrealismus


Ute Woltron

Als Bogdan Bogdanovic im vergangenen Jahr zum ersten Mal nach langer Zeit in seine Heimatstadt Belgrad zurückkehrte, zertrümmerte er sein Leben, um es neu wieder zusammenzusetzen.

Er betrat seine alte Wohnung, die er acht Jahre lang nicht gesehen hatte und in der er sich gemeinsam mit seiner Frau hatte verbarrikadieren müssen. Er ging die Wände seiner Bibliothek entlang und begrüßte all die Bücher wieder, die er in den Tagen der Flucht nach Wien nicht hatte mitnehmen können, und er machte schließlich vor einer alten grünen Schachtel Halt.

Die Schachtel hatte oben einen Schlitz, wie ein Briefkasten, und tatsächlich war sie auch nichts anderes: ein Postkasten, in den der jüngere Bogdanovic jahrelang Notizen und Aufzeichnungen für einen älteren Bogdanovic eingeworfen hatte, und der nun sozusagen Briefe und Nachrichten von Vorgestern enthielt - mit Schreibmaschine festgehaltene und mit Kugelschreiber und Bleistift auf Papierfetzchen gekrizzelte Ideenskizzen, die diese Vergangenheit nun in die Gegenwart übersetzen helfen.

Bogdanovic zerschmetterte die Schachtel kurzerhand und schlachtete damit in gewisser Weise sein eigenes Leben. Er kippte den Inhalt in ein grünes Meinl-Papiersackerl und kehrte damit nach Wien zurück. Die Bibliothek ließ er in Belgrad zurück.

Hier in der schönen Stadt an der Donau ist er nach wie vor anzutreffen: ein großer, schlanker, alter Mann mit weißem Wirrhaar und dicker Brille. Ein wenig schlampig in der Aufmachung, dafür umso geschliffener in der Formulierung. Wenn Bogdanovic in seinem kräftigen Serbisch-Deutsch um Sätze und Begriffe ringt, weiß man schon, bevor er noch den Mund geöffnet hat, dass er gleich Rasierklingen speien und wohlgezielte Pfeilspitzen ausspucken wird.

Das Wort, ob geschrieben oder gesprochen, kann zur Waffe werden. Bogdanovic' Kritiken am aufkeimenden serbischen Nationalismus kamen damals ebenfalls wie Pistolenschüsse, abgefeuert in Interviews und Essays in internationalen Medien. Sie wurden dem erstarkenden Milosevic-Regime zu Beginn der 90er-Jahre zu gefährlich: Der ehemalige Bürgermeister Belgrads war bald als Verräter gebrandmarkt, er wurde auf dem Trottoir von hysterischen alten Frauen angespuckt, von Milosevic-Treuen in seiner Wohnung belagert, mit Drohanrufen und eingeschlagenen Fensterscheiben malträtiert.

"Ich habe fast drei Jahre lang in absoluter Isolation gelebt, ich konnte mich nicht mehr auf die Straße wagen", sagt er und begegnet dem Vorwurf, er hätte damals mit seiner Flucht die in Belgrad verbliebenen Regimegegner im Stich gelassen, mit müdem Spott: "Von all den liebenswürdigen Kritikern meiner Person hat damals, in dieser lebensgefährlichen Situation, keiner die Stimme erhoben. Für mich gab es gar keine andere Lösung als die Flucht."

Bogdan Bogdanovic kam 1922 in Belgrad zur Welt, er wuchs in einer Atmosphäre des Intellekts und der geschwungenen Rede auf. Der Vater, ein Literaturkritiker, der Sohn ein Beobachter der Literaten, die im Hause Bogdanovic aus und ein gingen. "Ich wollte nie Schriftsteller werden, ich hatte eher eine karikaturale Vorstellung von Poeten und Kritikern, sie waren interessant, aber verrückt."

Nachdem er seine jugendlichen Pläne, Ballettmeister oder Mathematiker zu werden, verworfen hatte, studierte er Architektur und schloss sich den Surrealisten an. "Trotzdem habe ich immer geschrieben, doch mehr für mich selbst. Ich habe mein Leben in einen Roman verwandelt, sodass es ziemlich interessant geworden ist."

Bogdanovic behauptet, er hätte erst in Wien begonnen, "einfacher" zu schreiben, weil seine Sprachexperimente aus dem Serbischen kaum zu übersetzen gewesen wären. Dennoch sind die Bücher, die seit seiner Ausreise erschienen sind, brillante Konstrukte eines architektonisch Geschulten, statisch ausgewogene Ideengebilde, mit einem flirrenden, nie überflüssigen Zierrat gekonnt ausgekleidet. Das Leben, die Politik und die Architektur spazieren hier Hand in Hand durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, so wie Bogdanovic zeitlebens durch die großen Städte der Welt spaziert ist.

Städte waren und sind seine "schöne und milde Obsession", seine Beschreibungen von Paris, Belgrad, London, Basel, Wien, Pjöngjang und vielen anderen Anhäufungen von Architektur, Verkehr, Natur und Menschen lassen eine andere Sicht der Architekturdinge zu, nehmen die heute so moderne (und berechtigte) Beschreibung des Städtebaus als dynamischen Prozess lange vorweg.

Was die Stadt per definitionem ist, sei "ein ebenso großes Geheimnis, wie man sich fragen kann, was ein Mensch ist. Die Stadt kann man nur erläutern, nicht aber definieren. In Städten kann man blättern wie in einem Buch." In alten Städten, jedenfalls, denn die neuen "Großstädte der Dritten Welt" seien "Großstädte der Armut, mit prächtigen Zentren und darum angehäuften schauerlich schlechten Bauten ohne Planung und Technik, wiewohl eine Stadt mit zwanzig Millionen Einwohnern eigentlich nicht mehr als Stadt zu bezeichnen ist, sondern ein neues Phänomen darstellt."

Europa hingegen habe die Chance, seine schönen gewachsenen Stadtstrukturen noch ein paar Generationen hinweg zu erhalten, die zeitgenössische Architektur sei auch wesentlich interessanter und freier als die streng funktionalistische Bauweise, der man zu seiner jungen Architektenzeit huldigte.

Wenn Bogdanovic denn auch die unbeholfenen Versuche kommunistischen Städtebaus in Jugoslawien ins Visier nimmt, greift sein Zynismus ungebremst Raum. "Die Mißgriffe waren nicht immer harmlos und relativ billig", schreibt er in seinem heuer bei Zsolnay erschienenen Buch Vom Glück in den Städten: "Es gab neugebaute Brücken, zu denen keine Wege führten und über die man lediglich auf Maisfeldern gelangte, und es gab Tunnel, nach deren Eröffnung niemand genau sagen konnte, wozu sie gegraben worden waren. Einer davon schmachtet bis heute im Bauch des alten Belgrad als Zeugnis vom unbeugsamen Willen, aber auch von den fatalen Versuchungen der sozialistischen Erbauer."

Als junger Architekt verachtete er die gebaute Megalomanie des Sozialismus und die Langeweile der "funktionalistischen, mit wenig Geld armselig gemachten Architektur". "Ich bin froh, nicht daran teilgenommen zu haben." Bogdanovic baute lieber Denkmale: Erinnerungsstätten für Partisanen, Mahnmale für ehemalige Konzentrationslager. Zehn insgesamt. In "sehr altertümlicher Art und Weise" habe er gebaut, wie "eine surrealistische Reise in die Ewigkeit oder in eine zweitausendjährige Vergangenheit". Als sein Hauptwerk bezeichnet er das "Labyrinth im Labyrinth" an der Stelle, an der das Todeslager Jasenovac stand.

In Der verdammte Baumeister (1997, Paul Zsolnay Verlag) beschreibt er die Entstehung der mystischen, aus gehauenen Steinen blütenartig komponierten Gedenkstätte: "Ich erinnere mich an die ersten Skizzen für das Denkmal in Jasenovac. Ich erinnere mich an die verwirrende Vielzahl gezeichneter Labyrinthe, die ich, eins nach dem anderen, auf einen Haufen legte. Nächtelang zitterten vor meinen ermüdeten Augen die miteinander verflochtenen, schlangenartigen, mit Wasser gefüllten Schanzen und Dämme, die an die Schwänze dunkler Luzifers gemahnten. Im Mittelpunkt der schon beschriebenen Naturfalle, im Gewirr von Flüssen, Flußarmen und stehenden Gewässern konnte man in den Zeichnungen allmählich auch meinen Zaubergarten voller Durchgänge, Sperren und dunkler Dämonen erkennen. Es war schwer zu sagen, wo ich da hingeraten war."

"Ich habe glücklicherweise meine Lösung in den Monumenten gefunden", sagt er, "in erzählenden, philosophierenden, surrealistischen Räumen." Bogdanovic' surreale Orte waren der Gegenpol zu den sozialistischen Monumenten seiner Zeit, zu den bronzegegossenen und in Stein gehauenen Kämpfern, Opfern und Kriegshelden.

Auf seinem Denkmal für die Partisanen des Zweiten Weltkriegs, gebaut lang vor Milosevic' Machtübernahme, mahnt eine Inschrift: "Wenn es nötig ist, tue es noch einmal." Was wollte er damit formulieren? "Ich habe damals ein Gefühl gehabt, eine unbewusste Furcht, dass etwas wirklich Schlechtes wiederkommen würde, ich habe auch von einem künftigen möglichen Faschismus gesprochen. Leider war ich damals nicht weit von der Wahrheit entfernt."

Heute führt Bogdanovic ein, wie er es nennt, "Doppelleben" zwischen Wien und Belgrad. Er will zwei Monate pro Jahr in der alten Heimat verbringen, um dort seine Zeichnungen zu ordnen und die Bibliothek zu genießen. In Wien bleibt ihm sein Zettelsäckchen mit den Botschaften aus der Vergangenheit. "Ich ziehe daraus vor allem meine Träume hervor", sagt er und stellt dabei fest, dass die um so poetischer waren, je kritischer seine persönliche Situation wurde.

Erinnerungen an Serienträume kehren bei der Durchsicht der Zettel wieder, Erinnerungen an traumwandlerische Spaziergänge durch ein fantastisch bebautes Belgrad an den beiden großen Flüssen, die "in normalem Zustand schon etwas Träumerisches" haben. Ob er ein Buch aus diesen Erinnerungen spinnen wird, ob er das tatsächlich Geschehene mit dem Fiktiven verknüpfen will, kann er noch nicht sagen.

Vorerst wird einmal kräftig gefeiert: Der Zsolnay Verlag, KulturKontakt Austria und das Architekturzentrum Wien laden am 2. Oktober zu einem Fest für BB, die Laudatio hält Friedrich Achleitner. Der Anlass ist Bogdanovic' Geburtstag. "Ich bin nun 80 und nicht mehr jung. Noch in den letzten Tagen vor dem Geburtstag habe ich mich wie ein großes Kind gefühlt, jetzt erst habe ich verstanden, dass ich keines mehr bin." (ALBUM, DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.9.2002)
architektur@derStandard.at

ein fest für bb, 2. 10., 19 Uhr, AzW im Museums-
quartier.

Vom Glück in den Städten, EURO 20,70/235 Seiten,
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002.

Die Ö1-Diagonal-Sendung "Zur Person Bogdan
Bogdanovic" ist als CD oder Kassette kostenpflichtig erhältlich unter der Telefonnummer 01/501 70-374 oder audioservice@orf.at