Anstatt eines der vielen wirklichen Museen herauszuheben, versuchten wir ein Gespräch über imaginäre Museen: Deshalb sprach Richard Reichensperger mit Wolfgang Kos, ab 2003 Direktor des Historischen Museums in Wien, über Möglichkeiten.Wien - Es ist ja unmöglich, mit Wolfgang Kos ein Interview zu führen. Der leidenschaftliche Rundfunkmann und designierte künftige Direktor des Historischen Museums dreht die Situation gleich um, indem er mit allen Ideen schneller ist als jede Frage. So sprudeln Künstlerbrunnen. Und: Was soll man auch von einem künftigen Museumsdirektor halten, der Museen gleich so entgegentritt wie hier nach der ersten Frage: S TANDARD: Warum überhaupt ein Museum, warum dessen Direktor?

Kos: Eine Überlegung war: Alle Ausstellungen sind ähnlich halbtief vorbereitet, ähnlich groß, haben ähnliche Kataloge, wo man die ähnlichen Verdächtigen, die zum Thema passen, einlädt, die holen aus ihrem Ladl ihre übliche Geschichte. Ich finde Museumsarbeit aber grundsätzlich faszinierend: Museum ist ein interessantes Medium, nicht so schnell wie Journalismus, hat aber doch eine Möglichkeit, die Gegenwart mit Kommentaren zu begleiten.

STANDARD: Und da besteigen Sie ausgerechnet den - auch einer Enquete vom April zufolge - "abgetakelten Dampfer" des Historischen Museums?
Kos: An dieser speziellen komplizierten Flotte gefällt mir, dass so viele verschiedene Bühnen zur Verfügung stehen, bis zum Modemuseum. Ich bin so ehrgeizig mit den Wiener Museen, weil es in Europa wenige Universalmuseen mit diesem Reichtum gibt. Aus dem ergibt sich eine wesentlich interessantere Ausgangsposition für eine Museumsdebatte.

STANDARD: Wieso?
Kos: In Wien gibt es ja ein Überangebot an "hoher" Kunst und an derjenigen des 20. Jahrhunderts, Hundertwasserhaus, KunstHaus usw. Das ist eine Tendenz, die auch viele Gründungen in den USA und Deutschland widerspiegeln: viele große Kunstmuseen, die alle ähnliche Kanons haben. Es liegen Jahre der Unsicherheit hinter uns, wie Universalmuseen oder Sachmuseen - nicht reine Kunstmuseen. Diese haben schwierige Zeiten hinter sich: Es zeigte sich für diese "winner" der 90er-Jahre ihre Leere.

Diesen Kunstabwicklungsmaschinen, denen fehlt oft eine Tiefenschicht. Sie hatten nicht genügend Zeit zum Aufbau. Jetzt aber ist eine Debatte über die Rolle der Museen möglich, gerade mit den Sachmuseen. Das heißt also: Plötzlich ist wieder Aufmerksamkeit da für eine Diskussion über die Rolle des Museums in der Gesellschaft.
STANDARD: Und denken Sie schon etwas konkret über Ihr Sachmuseum?

Kos: Lange vorbereitete Ausstellungen können ja sehr gut werden. Aber ich kann mir auch schnell erarbeitete Ausstellungen vorstellen, wo man halt wirklich am Material, an der These arbeitet. Ausstellungen, die eine aktuelle Stimmungslage reflektieren und Material anbieten können zu einer köchelnden Diskussion. Im "Historischen" ruht wunderbares Material. Etwa eine riesige Fotosammlung, die aber allein nach topografischen Kriterien geordnet ist. Auch Denkmale, Wettbewerbe - das kam alles ins Museum. Man könnte ein Projekt machen: Quer durch 200 Jahre 10 umstrittene Denkmale anschauen. Es ist ein Resonanzboden da, der breit besetzt ist. S TANDARD: Allzu breit. Kos: Die historische Überfülle und Kontinuität einer Dauerausstellung wird man dort diskutieren müssen. Die Hauptaufgabe in den ersten zwei Jahren wird sein, ein Sammelprofil zu erstellen. S TANDARD : Aber eine Museumskonzeption, die auf Flüchtigkeit setzt: Ist das nicht ein Widerspruch? Kos: Auch ein Diavortrag eines Kunsthistorikers ist im Grunde eine Ausstellung, die so lange dauert wie der Vortrag. Die Bühne Museum muss stärker gedacht werden für verschiedene Befindlichkeiten: die Dauer einer lang angewachsenen Sammlung, die Flüchtigkeit kürzerer Interventionen im öffentlichen Raum. In Kunstmuseen dominiert der Kanon. Es fehlt oft das, was Thema der Zeit- und Alltagsgeschichte ist. Hier sollte man ansetzen. Dort, wo etwas verschwindet, wo das Vertraute fremd wird: Dort beginnt der Wunsch der Menschen nach einem Museum. S TANDARD: Dazwischen liegt aber der desolate Karlsplatz. Kos: Die Fläche ist zu überwinden: Vielleicht kann man ein paar Pavillons setzen, vielleicht fallen Wunder vom Himmel. Pessimistisch bin ich nur beim Stadtgartenamt mit den Pflanzen. (DER STANDARD; Printausgabe, 05.10.2002)