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Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach
Die Reise beginnt, wie jede Reise das tut, mit einem Vorsatz, einem festen: Der Umsatz des Wirten solle innerhalb der Grenzen der Gesittung verbleiben. Einem kurzen Zusammensitzen sei durchaus nichts zu entgegnen, ein halbes Stunderl, gewiss, das Ganze habe im Grunde den Charakter eines Sprungs, wäre die Zeit ein Hohlmaß - was sie dummerweise allerdings nicht ist -, ließe sich sagen: "Gehen wir auf ein Achterl." Aber so.

Aber so beginnt die Reise, viele Reisen tun das ja, mit einem Missgeschick. Der Wirt, ein flüchtiger Bekannter, leidet zusehends an jener Unverschämtheit, die geradezu ein Erkennungsmerkmal von Wirtspersonen ist. Die flüchtige Bekanntschaft nützend, schaut er, dem die so einfach gestrickten Menschen ja ohnehin ihr bitter erworbenes Geld - "Lewonzen", sagt Freund B. - nachtragen, die flüchtige Bekanntschaft also nützend, schaut dieser Wirt einzig und ausschließlich auf den eigenen, prall gefüllten Klingelbeutel und durchkreuzt, schelmisch, den Vorsatz durch Vorschützen erblich erworbener Faulheit. Die Bestellung - "Ein Seiderl, bitt' schön" - quittiert er mit beinahe grotesker Empörung: "Wegen dir", dekretiert er bösartig, "renn' ich sicher nicht zweimal." Freund B. nickt energisch, wenn auch zustimmend.

Wegen dir! "Wegen", erwidert man, eine gewisse Erbostheit beinahe lebensecht vor sich hertragend und dabei ahnungslos in die Wirtsfalle tappend, "wegen verlangt eindeutig den Genitiv, Wirt! Wegen deiner muss es heißen. Deinetwegen meinetwegen! Deinethalben von mir aus." Freund B. nickt immer noch, und so nimmt der Abend seinen vorherbestimmten, von keinem Vorsatz zu erschütternden Lauf.

Die Reise beginnt also, sagen wir es meinetwegen so, mit einer linguistischen Irritation. Freund B., ein bekennender Grammatiker, nutzt den Wirtsfauxpas zu einer weit ausholenden Expertise über den Genitiv und seine praktische Nichtexistenz im Österreichischen, weshalb er geneigt sei, durchaus, dem Wirten in diesem einen Fall Recht zu geben. Auch grammatikalisch, denn inhaltlich sowieso, und schon steht hier das größere der beiden Braumaße, das im Grunde weitaus geläufigere, und der Geist des vom Vorsatz genährten Widerspruchs erlahmt mit dem Eifer, mit dem Freund B. in zügigen, geradezu herzerfrischenden Schlucken sich an die Arbeit macht, gleichzeitig in sehenswerter Manier den Bestellarm hebt und zwei daran angewachsene Finger dem Wirt entgegenstreckt. "Eins trink' ma noch, dann renn' ma!"

Freund B. ist ein Meister der Sprichworterei, weshalb es ihm ein Leichtes zu sein scheint zu meinen, "auf einem Haxen ist schwer vorankommen". Dem lässt sich kaum etwas hinzufügen, außer unter Umständen die Einsicht, dass nur ein dritter Haxen dem Wackeln vorbeugen könnte, und somit hat der Wirt das seine bereits erreicht im Übermaß: "Eins trink' ma noch, dann renn' ma."

Dem Glücklichen, auch das eine kleine Hausgebrauchsweisheit des Freundes B., schlägt keine Stunde. Noch dazu, da der Wirt eine jener mörderischen, weil spiegelverkehrten Uhren an die Wand gehängt hat. Wenn dann, wie eben jetzt, ein so kontroversielles Gesprächsthema wie der

Genitiv sich an den Tisch gesellt, dann ist das ein bisschen wie das Abschiedswinken am Bahnhof, das ja auch niemandem nützt. Nur dem eigenen Befinden.

Gut, Freund B. beginnt allmählich, in die Wiederholung zu rutschen. Die Treffsicherheit der Argumentation wankt ein wenig, was allerdings durch die eigene Aufnahmefähigkeit mehr als wettgemacht wird. Das Erstaunliche an dieser Reisebekanntschaft - denn was anderes ist Freund B.? - ist die Gesprächigkeit, die Wort für Wort ins Plappermäulige hinüberlappt. Es folgt einem ganz bestimmten Rhythmus: Dem Einstieg durch den waschechten Genitiv folgt die Kurve zum wankelmütigen Arbeitskollegen, der sich die lange Gerade der wirklichen Schnurren aus dem Alltag anschließt, unterbrochen nur durch die Schikane der willkürlichen Witzigkeit und der einen, allerdings brandgefährlichen Haarnadel: Weiber! Immer wieder schnellt B.s Bestellarm - der linke - in die Höh: "Eins trink' ma noch, dann renn' ma."

Geradezu akribisch werden Erlebnisse und solche, die welche hätten werden können, hervorgekramt, hin und her gewälzt, zerlegt. Detailliert haben B.s Motorräder Platz genommen. Eines davon nennt er "Wasserbüffel", und das ist bemerkenswert genug, beinahe erbaulich, sodass der Wirt zur letzten gemeinen Tat, dem finalen Reiseantritt, schreitet: die Runde aufs Haus. Erbärmlich durchsichtig, keine Frage, aber stets wirksam. Männer auf Reisen haben, mehr als solche, die, wie man so sagt, die Kurve gekriegt haben, Ehr' im Leib. Der seelenkundlich versierte Wirt bringt die Runde in der Gewissheit der Revanche. Und so trippelt man sitzend, Glas um Glas der Sperrstunde entgegen: Wasserbüffel in der Garage, Wandverbauten von Ikea, Wendehälse an der Staatsspitze, Wasserlassen zwischendurch, Wehmut, Weltentrücktheit, Weiber.

B. wird mutig, das liegt im Wesen nicht B.s, sondern der Reise selbst. "Eins trink' i no, dann renn' i!" Fräulein Gerti, die dem Wirten nun verstärkt zur Hand geht, bringt einen Schwenker Rémy Martin, Freund B., wie gesagt ein Freund von Lebensweisheiten, meint: "Na wenn's schon dasteht." Und irgendwie, so weit kann es kommen mit einem, irgendwie hat er nicht Unrecht damit. Meint der Wirt auch.

Irgendwann, nach acht Wasserbüffeln, elf Wandverbauten, sechsunddreißig Wendehälsen, häufigem Wasserlassen, andauernder Wehmut, zunehmender Weltentrücktheit und vielmaligem Weibern hat sich die schwarze Luft vors Lokal geschoben. Der Wirt ist müde, Fräulein Gerti aus guten Gründen erschöpft, Freund B. freilich fast jugendfrisch. "Eins trink' ma noch, dann renn' ma." Und zwar wo? "Dort", meint Freund B. gelassen.

Dort ist der Wirt nachtaktiv wie ein Uhu. Wasserbüffel, Wandverbau, Wendehals, Wasserlassen ("Bestell mir eins, wenn er kommt!"), Wehmut, Weltentrücktheit, Weiber. Und Wurlitzer. Drinnen sitzt Wolfgang A.: "Is scho guat, Mama." Weiber, Weltentrücktheit, Wehmut, Wasserlassen ("Eins noch, dann renn' ma!"), Wendehals, Wandverbau, Wasserbüffel. Sentiment legt sich übers Lokal. Die Männer an den Nebentischen senken Stimme, Blick und Kopf. Einige ganz tief. "Moch da kaane Suagn, Mama." Freund B.: "Es is ja heut' und no net muagn, Mama!"

Kaum ein Irrtum kann gravierender sein. Die Zeit ist ein Hund, sie vergeht, wie Freund B. richtig feststellt, "wie im Flug". Wasserbüffel, Wandverbau, Wendehals, Wasserlassen ("Das letzte, aber echt!"), Wehmut, Weltentrücktheit, Weiber. "I werd' nie mehr Motorradl foan!"

Die schwarze Luft weicht. Wackelt? Wankt? Wabert? Widersteht? Wasserbüffel. Wandverbau. Wendehals. Wasserlassen ("Wie immer!"). Wehmut. Weltentrücktheit. Weiber.

Die Sonne! "Ist das die Sonne?" Freund B. schüttelt den Kopf, der ihm im Neunzig-Grad-Winkel vor der Brust hängt. Weiber!

So!

Okay!

Siehst du? "Eins noch, dann renn' ma!" Freund B.: "Wohin?" Von da nach dort. Ume. Freund B. "Na, eine." Und so weiter.(Der Standard/rondo/11/10/2002)