Einst irrlichterten hier Wahnsinnige und Detektive, jetzt behauptet nur noch die Musik ein Drama: Ein Bild aus Martin Arnolds digitaler Bearbeitung von "Invisible Ghosts"

Foto: Arnold
Ein Gruselfilm, bei dem die Protagonisten verschwinden; Duelle zwischen Unsichtbaren; Comedy-Darsteller, denen jäh der Witz abhanden kommt: "Deanimated", eine Ausstellung des Filmemachers Martin Arnold in der Kunsthalle im MQ. Wien - Wie ist das, wenn einem ein lange gewohntes Gegenüber plötzlich abhanden kommt? Nicht nur der ewige Silvester-Dauerbrenner Dinner for One weiß: Manche Leute ziehen dann ihr Konversationsprogramm ungerührt weiter durch - oft mit erheiternden Auswirkungen, manchmal aber auch mit eher beklemmenden Folgen: Invisible Ghost (1941), ein in jeder Hinsicht haarsträubendes B-Picture mit Bela Lugosi, beginnt denn auch mit so einer horriblen Abwesenheit. Verlassen von seiner Frau, die danach angeblich auch noch einen tödlichen Unfall hatte, vollzieht der Held ungerührt weiter das Ritual eines gemeinsamen Abendessens. Für den österreichischen Filmemacher Martin Arnold war dies ein idealer Ausgangspunkt für ein zunehmend komplexes Spiel mit Abwesenheiten und Auslöschungen: Die Charaktere von Invisible Ghost beginnen nun dort zu verstummen, wo früher hanebüchene Dialoge einen mühsamen Kriminalplot vorantrieben. Menschen verschwinden, andere reden also ins Leere, bis zuletzt ein Detektiv ratlos fragt: "What now?" Es ist, als beginne mit dem am Ende völlig entleerten Haus, zu dem nur noch die Musik Dramen andeutet, der Film selbst zu sterben. Deanimated nennt Martin Arnold nun sowohl "seine" Version von Invisible Ghost wie auch eine heute Abend in der Wiener Kunsthalle eröffnete Ausstellung, in deren Rahmen gleich drei solcher Manipulationen präsentiert werden: Während Deanimated selbst in einem mit Stühlen überfüllten "Kino" noch eine klassische Projektion erfährt, stehen dagegen in einer anderen Kabine entleerte Straßen aus Fred Zinnemanns Western High Noon : Unter dem Titel Dissociated tauchen zwar zu Schüssen immer wieder Rauchwölkchen auf. Aber wo sind die Cowboys? Es ist, als würde sich eine Hollywood-Setdekoration auf beschwingt jämmerliche Weise selbst zerlegen. Erregtes Schweigen Die dritte Installation schließlich knüpft am deutlichsten an Martin Arnolds bisherige Filme ( Pièce touchée , Passage à l'acte und Life Wastes Andy Hardy ) an: Hatte er bisher durch Veränderungen von Kaderabfolgen Helden zu spastischen Zuckungen oder zum Stottern gebracht, so bewirkt nun in Forsaken digitales Morphing zweier Damen aus dem Screwball-Comedy-Klassiker All about Eve , dass diese recht erregt verstummen. Auf zwei Leinwänden voneinander separiert und einander gegenüber positioniert, schweigen sie nun quasi aneinander vorbei. Rund 600 Mikroelemente von Stille aus der an und für sich sehr dialoglastigen Originalszene wurden für diese skurrile Endlosschleife digital ineinander verwoben: Erstmals arbeitete Martin Arnold denn auch in den Räumlichkeiten der Produktionsfirma amour fou mit einem Team von Künstlern und Computerspezialisten. Wobei für alle drei Installationen gewisse handwerkliche Fertigkeiten quasi in einem "learning by doing" erworben werden mussten. Normalerweise werden für Sciencefiction- oder Actionfilme ja bevorzugt digitale Details hinzuerfunden. Wie aber löscht man, was vorher für ein Spektakel unabdingbar schien? "Die Grundidee", so Martin Arnold, "war ja am Anfang sehr offen und ohne konkretes Ausgangsmaterial: Was passiert mit dem filmischen Gewebe, wenn man das Zentrum herausnimmt? Das Zentrum ist bei narrativem Kino natürlich immer der Schauspieler. Eine handelnde Figur, der alles zuarbeitet: Schnitt, Kamera etc. Was würde übrig bleiben, wenn diese Figur nachträglich gelöscht wird?" Die Antwort lautet nun bei der Betrachtung von Arnolds Filmen: Die Wahrnehmung des Raumes wird irre. Der Blick, der vorher stets von einem Handlungsablauf wie an der Leine geführt wurde, beginnt, jedes kleinste Detail wie Indizien abzuklopfen. "Is something wrong?": Auch die reduzierten Gesprächspassagen vermitteln nur noch Unsicherheit, in einer Mischung aus Grusel und grimmigem Witz, an der David Lynch vermutlich seine helle Freude haben dürfte. "Dabei haben wir gar nicht unbedingt nur 'Defekte' eingearbeitet", meint Arnold: "Oft fühlten wir uns am Computer eher wie Schönheitschirurgen: Etwa, wenn wir die Personen von besonders blöden Sätzen erlösten." So sitzen die Figuren am Rande zum Nichts da, als würden sie auf die von Andy Warhol beschworenen 15 Minuten Ruhm warten: Nur zwingt sie keiner mehr, Unsinn zu reden. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2002)