Foto: Typemuseum.at
+ + + PRO von Christoph Winder Vierzehn verschiedene Pizzageschmäcker im Tiefkühlschrank des Supermarkts, mindestens 38 Biersorten im Pub: Wir allen wissen, welche Freuden wir dem avancierten Spätkapitalismus zu verdanken haben. Freilich: Umsonst ist das alles nicht zu haben, und weil unser Alltag sich so warenmäßig reich differenziert darstellt, fordert er uns andererseits auch ein entsprechendes Mehr an Entscheidungen und seelischer Unruhe ab. Nichts tut in turbulenten Zeiten wie diesen mehr Not als ab und zu ein Moment des Innehaltens, des Bewußtwerdens und des In-Sich-Gehens, und zum Glück gibt es auch viele Zeitgenossen, die einem dieses Erlebnis immer wieder bescheren. Das ist zum Beispiel der Mein-erstes-Mal-am-Bankomat-Typ, der sich seelenruhig eine Viertelstunde an der Tastatur betätigt, während die Menschenschlange hinter ihm länger und länger wird und zunehmend in ein wohltuendes meditatives Schweigen verfällt. Und dann gibt es natürlich den Rolltreppen-Linkssteher, der Sand ins Getriebe der allgemeinen Umtriebigkeit streut, indem er sich zum Höhepunkt der Stoßzeiten mutig als lebender Bremsklotz in den Strom der Hetzer und Hektiker wirft und so für ein willkommenes Moment der Verlangsamung sorgt. Auf seine stille Art verhilft der Rolltreppen-Linkssteher dem hektischen Großstädter zu einem köstlichen Augenblick der Kontemplation und einem Vorgeschmack des Nirwanas. Über das Pro und Contra zum Thema "Unter welchen Umständen soll man jemandem von hinten eine Kopfnuss verabreichen?" werden wir uns dann hoffentlich ein andermal unterhalten.
******
- - - CONTRA von Thomas Rottenberg Für die Strecke Genua-Wien braucht A. acht Stunden. Vielleicht achteinhalb. Allerhöchstens neun. Und während der Beifahrer - also ich - das Bodenblech auf der Suche nach einer hier doch irgendwo versteckten Bremse durchtritt, ärgert sie sich, dass vor ihr schon wieder einer mit 150 auf der linken Spur kriecht. Je näher man der österreichischen Staatsgrenze kommt, umso öfter flucht A. Über Autofahrer mit Hut. Über "Abfertigungsmercedeslüfter". Über Freizeitautobahnpolizisten. Über Männer im Allgemeinen und Familienväter im Besonderen, die es nicht verkraften, von Frauen in Sportwägen überholt zu werden. Und natürlich über Tussis in Micra-Mäusen, die so gerne die geballte Ladung männlicher Porsche-Hormone im Rücken spüren. Kurz: A.s Feindschaft gewinnt, wer länger als vier Sekunden auf der linken Fahrspur verweilt, ohne die Schallmauer zu durchbrechen. Innerhalb Österreichs fahre ich deswegen lieber mit der Bahn. Nur: Den Wickel mit A. erspart mir das nicht. Ich bin nämlich Rolltreppen-Geher. Sie steht. Und zwar dort, wo Platz ist. Also links. Prinzipiell. Fürs Weiterkommen, meint sie, sorge der Motor - wenn ich es eilig habe, könne ich ja zu Fuß gehen. Die Stiegen nehmen. Und ihr nicht auf die Nerven gehen. Das - das Stiegennehmen nämlich - sei auch gut für Herz und Kreislauf. Ich solle also gehen: Dann wäre ich beim Autofahren mit ihr weniger herzinfarktgefährdet. (DER STANDARD/rondo/11/10/02)