Am Tag danach strahlen Polens führende Politiker Zufriedenheit und Selbstbewusstsein aus: Die EU-Kommission hält in ihren Fortschrittsberichten auch das größte Kandidatenland für beitrittsreif. "Wir sind sehr glücklich mit dem Bericht", verkündet Staatspräsident Aleksander Kwasniewski Akzent "´" auf erstem sam Donnerstag einer Gruppe von Brüsseler EU-Korrespondenten, die extra nach Warschau eingeflogen wurden.Auch die Defizite, die die EU-Kommission aufzählt - Korruption, ineffiziente Verwaltung, Mängel in der Lebensmittelwirtschaft, zögerlicher Umbau der Schwerindustrie, um nur einige zu nennen -, bringen in Warschau niemanden aus der Fassung: "Wir sind nicht überrascht, wir wissen, wo wir stehen", gibt sich Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz selbstsicher. Sein Land war lange Zeit bei den Beitrittsvorbereitungen deutlich hinterher gehinkt und hat erst in den letzten zehn Monaten zu den anderen aufgeschlossen. "59 Gesetzentwürfe haben wir seit Jahresbeginn vorgelegt, 30 Gesetze erlassen", beschreibt Kwasniewski die Aufholjagd. Feierstimmung kommt nach dem Fortschrittsbericht, den Außenminister Cimoszewicz "eine gute Botschaft für uns" nennt, trotzdem nicht auf. Denn für Beunruhigung sorgt nun das irische Referendum am 19. November: "Wir hoffen, dass die Iren auf unsere Sorgen hören und Ja zum Nizza-Vertrag sagen und den Erweiterungsprozess nicht bremsen", sagt Kwasniewski. Doch auch mit dem irischen Ja läuft den EU-Erweiterern die Zeit davon. Noch sind die Beitrittsverhandlungen nicht abgeschlossen. Die Zeit bis zum großen Erweiterungsgipfel ab 12. Dezember wird knapp und die schwierigsten Kapitel stehen noch offen: das Budget und die Agrarfinanzierung. Mit Sorge blicken die Warschauer Politiker nach Westen, wo immer noch vier Länder - Deutschland, die Niederlande, Großbritannien und Schweden - den polnischen Bauern nicht einmal die im Vergleich zu EU-15-Landwirten auf 25 Prozent reduzierten Direktsubventionen zugestehen wollen, die die EU-Kommission vorschlägt. Mit diesen Summen will sich Polen nicht abspeisen lassen - und geht in die Offensive. Vor zwei Tagen beschloss der Warschauer Ministerrat, mit drei Forderungen in die Verhandlungen zu gehen. Erste Variante: Polen darf die 25 Prozent durch Umschichtungen von EU-Hilfen für die ländliche Entwicklung aufstocken. Zweite Variante: Warschau darf mit eigenem Geld die Summe auf 100 Prozent erhöhen. Dritte Variante: Polen darf Zölle auf bestimmte Agrarprodukte aus der EU - wie Weizen oder Roggen - erheben, um die im Wettbewerb benachteiligte eigene Landwirtschaft zu schützen. Bruch der Grundfesten

Der letzte Vorschlag würde - wie nicht nur EU-Agrarkommissar Franz Fischler sogleich betonte - dem Prinzip des freien Binnenmarkts in der Union widersprechen. Der zweite würde auf eine Kofinanzierung der Landwirtschaft hinauslaufen - ein Bruch der bisherigen Grund 5. Spalte festen, gegen den sich Paris immer vehement gewehrt hat. Der erste Vorschlag würde die Reformansätze für die EU-Agrarpolitik konterkarieren. Und dass diese reformbedürftig ist, sieht sogar der polnische Staatspräsident ein: "Die Struktur der gemeinsamen Agrarpolitik ist künftig nicht tragbar und zu teuer", sagt Kwa´sniewski und greift damit frontal die Position der Bauernpartei PSL an, die Teil der regierenden Koalition in Polen ist. Die Beitrittsverhandlungen soll das aber nicht verzögern: Es werde nun einmal über die bestehende Agrarordnung verhandelt, betont der Präsident. Außenminister Cimoszewicz ist noch schärfer: "Wenn man unbedingt die Agrarverhandlungen mit der Agrarreform verknüpft, könnte das als mangelndes Interesse an der Erweiterung interpretiert werden", mahnt er und hat dabei vor allem das niederländische Parlament und die deutsche Bundesregierung im Visier. Beide sprechen für EU-Nettozahlerländer. Als solches sieht sich Polen auch bald. Sowohl Cimoszewicz als auch sein Chefverhandler Jan Truszinski werden nicht müde vorzurechnen, dass Polen nach den bisherigen EU-Vorschlägen ab 2004 ein Nettozahlerland im Agrarsektor werden würde. Im polnischen Beitrittsreferendum wäre das schwer zu vermitteln. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.10.2002)