Roberto Benigni als Pinocchio

Foto: Miramax Film
La vita è bella : "Das Leben ist schön", jubilierte 1998 ein Filmtitel des italienischen Starkomikers und Regisseurs Roberto Benigni - und erzählte doch von tieftraurigen Verhältnissen und über die Bestialität des Holocaust. Erstaunlich, dass die Kritiker dennoch ein unbeschwert heiteres Werk erwarteten, als Benigni sein nächstes Großprojekt ankündigte: Pinocchio , Carlo Collodis Roman über einen Holzkasperl, der unbedingt ein wirklicher Junge, ein Mensch werden möchte, wird heute vermutlich wegen der berühmten Disney-Adaption und einer erfolgreichen japanischen TV-Serie als harmloses Märchen gehandelt. Dabei hatte der Florentiner Dichter Collodi (1826-1890) durchaus horrible, alles andere als märchenhafte Weltläufte vor Augen, als er sein Buch mit dem berühmten Einstieg bedachte: "Es war einmal ... ein König! (...) Nein ... ein Stück Holz!" Und die Puppe, die der Schreiner Gepetto aus diesem Scheit schnitzt, bis ihm der Schreckensruf "Holzaugen, warum starrt ihr mich so an!" entfährt - diese Puppe ist nichts weniger als ein zweiter Candide, der in einer vermeintlichen "besten aller Welten" einen Schlag nach dem anderen, unzählige schmerzhafte Belehrungen erfährt. Von einem grobschlächtigen Puppenspieler wird Pinocchio ausgebeutet, von Räubern (einem Fuchs und einem Kater) ausgeraubt und beinahe aufgehängt. Brutale Pädagogen versuchen ihm seinen Eigensinn auszutreiben - und doch sucht er weiter nach Geborgenheit (einer blauen Fee, gleichsam als Mutter) und Selbstverantwortung - verkörpert im Ersatzvater Gepetto, der ohne ihn hilflos durch die Welt treibt: wie der biblische Jona in einem Wal. Odysseus wäre in Pinocchio ebenso wiederzuerkennen wie der Mythos vom Golem. Und wie Frankensteins Monster erahnte Pinocchio gleichsam ein Zeitalter voraus, in dem künstliche Kreaturen auch über die Entfremdung der Menschen erzählen. Pinocchio , 1881 erstmals im Giornale dei Bambini erschienen, wurde zum Klassiker - oft aber auch missverstanden. Nicht wenige Nacherzähler, wie etwa die österreichische Autorin Christine Nöstlinger, lasen das Leid des Titelhelden als Holzhammer-Pädagogik des Autors und versahen die Story mit entsprechenden Überarbeitungen. Andererseits: Wenn man Kindern das Original vorliest, dann kommt (wie bei klassischen Sagen) der nüchterne Erzählton ihrer Lust am Hinterfragen durchaus nahe. Dass man in so genannten Märchen nämlich unbedingt mitfühlen muss, ist ein Irrtum, der seit Disney leider Rezept geworden ist. Offenkundig hält es Roberto Benigni aber eher mit Collodi: Viele Kritiker halten jetzt seinen (extrem erfolgreichen) Film für "nicht lustig genug". Das macht für den Österreich-Start im Jänner 2003 zumindest neugierig. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2002)