Bremen - Alle Lebewesen konkurrieren um begrenzte Ressourcen. In direkter Konkurrenz ist dabei die Fortpflanzungseschwindigkeit der kritische Faktor - je schneller, desto erfolgreicher, nach dem Prinzip des "survival of the fittest", wie schon seit Darwin bekannt.Doch nun schlägt Chris Adami vom California Institute of Technology (Caltech) ein neues Modell vor: Bezieht man die Mutationsrate als Umweltbedingung ein, so gilt das klassische Modell nur bei geringen Mutationsraten. Sind diese dagegen hoch, schlägt Adami ein "survival of the flattest" vor. Das Besondere an Adamis Studien ist es, dass sie nicht auf biologischen, sondern auf digitalen Organismen basieren. Anstelle einer DNA haben diese einen selbstreplizierenden Computercode, der ihre Reproduktion und Ressourcennutzung steuert. Um zu überleben müssen die digitalen Organismen ihren Anteil an vorhandenen Ressourcen erweitern oder wenigstens erhalten. Dazu können sie mutieren - was sie zu möglichen Studienobjekten der Evolutionsforschung macht. Den von den Wissenschaftern kreierten, ursprünglichen Code tauschen sie bereits nach wenigen Generationen aus gegen einen ihren "Lebens"-Bedingungen besser angepassten. Es zeigte sich, dass die Organismen auf hohe Mutationsraten mit einer erhöhten Toleranz gegen Mutationen reagieren. Damit sind sie unter solchen Bedingungen den fruchtbareren, aber weniger toleranten Organismen überlegen. Für die Studie wurden Paare von Organismen kreiert, von denen jeweils eine Art eine deutlich höhere Reproduktionsrate hatte, während sich die andere langsamer, aber beständiger fortpflanzte. Wenn die beiden Arten gegeneinander antraten zeigte sich: bei hohen Mutationsraten gewinnt letztere (Nature 412, 2001). Stellt man die Konkurrenzstärke der unterschiedlichen Arten grafisch dar, so treten Erstere als steile, schmale Gipfel auf, während letztere flache und breite Gipfel bilden - daher als Prinzip des "survival of the flattest" tituliert. Wie sie dies allerdings tun, ist nicht klar. Adami vermutet, dass sie ihren Code um- und über das ganze Genom verteilen, was sie weniger anfällig gegenüber Mutationen macht. Virtualität und Physik Die Anwendbarkeit des virtuellen Systems auf natürliche Gemeinschaften ist freilich umstritten. Während klassische Biologen auf die Bedeutung der physischen Umwelt pochen, sieht Adami diese im Computer gegeben: "Die Information, also die genetische Sequenz dieser digitalen Organismen, ist physikalisch codiert in Spannungsunterschieden im Gedächtnis des Computers. Dadurch ist sie genauso physisch wie die in der DNA-Sequenz codierte Information." In Viren mit ihren hohen Mutationsraten meint Adami seine digitalen Organismen in der realen Umwelt wiederzufinden. So sieht er ein Potenzial seiner Forschung auch in der Entwicklung möglicher Anti-Virus-Behandlungen. Außerdem ortet Adami neue Möglichkeiten zur Erforschung extraterrestrischen Lebens. In der Astrobiologie liegt heute eine Hauptschwierigkeit darin, Biosignaturen anderer Lebensformen zu erkennen, wenn diese sich in ihrem chemischen Aufbau deutlich von den auf der Erde bekannten unterscheiden. (Fanni Aspetsberger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20. 10. 2002)