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Foto: Archiv
Ernstbrunn/Mistelbach - Auf den Landstraßen zwischen Ernstbrunn und Mistelbach begegnet den Autofahrern noch hie und da ein Stoppschild, das auf einen unbeschrankten Bahnübergang aufmerksam macht. Ortskundige ersparen sich jedoch den Tritt aufs Bremspedal, denn Züge verkehren dort schon lange nicht mehr. Die Lokalbahn im nordöstlichen Teil des Weinviertels hat bewegte Zeiten hinter sich und zählt zu den attraktivsten Strecken Niederösterreichs. Dennoch ist sie stark vom Verfall bedroht. Wie ein ausgetrockneter Altarm eines Flusses schlängelt sich der hie und da bereits von Gestrüpp überwucherte Gleiskörper durch eine äußerst in sich gekehrte Landschaft. Kilometer lang nur Wälder, Wiesen und Äcker. In spärlicher Anzahl zwischen die Hügel gestreut, vermitteln die kleinen, alten Dörfer mit ihren Straßen aus Kopfsteinpflaster zumindest dann und wann das Gefühl von menschlicher Besiedelung. Das wohl gehütete Geheimnis, woher die "Gebirgsbahn" des Weinviertels ihre - für diese so ganz und gar nicht alpine Region recht ungewöhnliche - Bezeichnung hat, sei hiermit ebenfalls gelüftet: Mit 27,08 Promille Steigung weist sie an ihrer steilsten Stelle nämlich eine größere Steigung auf als die berühmte Semmering-Strecke, die ihrerseits "nur" 26,02 Promille schafft. Die einstigen Unterkünfte der Bahnhofswärter - wie etwa in Paasdorf oder Niederleis - haben längst ihre Bestimmung als schmucke Wohnhäuser gefunden. Zu tun gäbe es für die Bediensteten ohnehin nichts mehr: 1988 wurde der Personenverkehr eingestellt, danach diente die Verbindung von Ernstbrunn nach Mistelbach nur noch in der Erntezeit als Transportmöglichkeit für Zuckerrüben und Kartoffel. Zusätzlich konnten Bahn-Liebhaber auf Anfrage eine Nostalgiefahrt buchen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit rund zwei Monaten ist die Strecke stillgelegt - die Gleise spielen nicht mehr mit. Ihr Zustand machen ein Befahren derzeit unmöglich. Seitens der ÖBB hofft man, die "Gebirgsbahn" bald wieder flott machen zu können, damit zumindest der Adventzug am 30. November nicht abgesagt werden muss. Sonstige touristische Konzepte existieren nicht. Auch die Geschichte der Lokalbahn verblasst langsam. Selbst bei Einheimischen ist kaum noch bekannt, dass entlang der Strecke bei Grafensulz von 1941 bis 1943 ein Kriegsgefangenenlager stand, von dessen Existenz heute nur noch das Wasserreservoir neben den Gleisen zeugt. Serbische, polnische, englische und russische Zwangsarbeiter mussten damals für die Instandhaltung des Bahndamms sorgen. Die Chronik berichtet weiters von Hangrutschungen, tödlichen Arbeitsunfällen, Schienenbrüchen und von tonnenschweren Dampfrössern, die in strengen Wintern gegen die Schneemassen vergeblich anzukämpfen versuchten. 1904 wurde das erste Teilstück von Korneuburg bis Ernstbrunn fertig gestellt, 1906 folgte die Anbindung an Mistelbach und Hohenau. Ein rauschendes Geburtstagsfest zum "100er" scheint aber in weiter Ferne. Das Unkraut breitet sich jedenfalls wie ein stetig wachsendes Leichentuch über die Schienen. (APA/red)