Im Schaufenster steht sie da wie falsch platziert. Umgeben von blitzenden kleinen Dingern voller Knöpfe, filigraner Scharniere, multifunktionaler Schieberchen und Aufschriften wie "Cool", "Cam", "GTS" oder so, und natürlich "4MB". Sie hingegen: eine größere und trotzdem unauffälligere Fotokamera, zurückhaltend, wie in einem schwarzgrauen Kleid, das durch keine Broschen verziert ist. Anonym, wenn auch die Anordnung des Sucherfensters, diese leichte Asymmetrie der Elemente am oberen Rande, an etwas erinnert - und da ist es auch zu lesen, in der typischen Handschrift mit dem geschwungenen "L", auf einer kleinen roten Scheibe: "Leica". Sonst nichts, nicht einmal der Modellname. Understatement stand Pate bei der Konstruktion der Digilux 1, der neuen Fotokamera aus dem deutschen Traditionshaus. Leitz hat ja das Kleinbildformat nicht nur erfunden, sondern verkörpert es bis heute auf das Würdigste. Man hat also einen Ruf zu wahren und eine Klientel zu bedienen, die auf gediegenes Handwerk großen Wert legt - sowohl bei der Erzeugerseite wie bei sich selbst, dem Benutzer: Man will eine solide Konstruktion, klare und manuell beeinflussbare Einstellungen und erstklassige Objektive. Das alles bekam der Profi oder wer immer das gerne sein wollte mit den M-Modellen von Leica. Sie sind so sehr dem Ur-Ideal von 1925 verhaftet, dass erst vor kurzem, bei der M7, eine stufenlose Zeitautomatik eingeführt wurde, bei anderen Herstellern ein alter Hut (wenn auch nicht immer ein Segen). Es war nicht leicht, diesen Purismus in die digitale Fotografie zu übertragen. Erste Versuche mündeten in Deals mit japanischen Herstellern, die den deutschen Namen in Lizenz übernahmen und damit und mit einem von Leitz berechneten Objektiv ihre elektronischen Geräte aufwerteten. Dann aber überlegte man sich bei Leica in Solms, dass man zwar auf das digitale Know-how aus Fernost nicht verzichten konnte, aber die eigenen Stärken auch ins Spiel bringen wollte. Das Ergebnis ist eine Zusammenarbeit zwischen Panasonic, die die Elektronik liefert, und dem Stammhaus, das die Grundidee des neuen Produkts bestimmt, seine Linsen berechnet - und sein Design in Auftrag gegeben hat. "Auftrag" allerdings beschreibt das Verhältnis zwischen dem Hersteller und dem Designunternehmen Heine / Lenz / Zizka nur unzureichend. "Ich arbeite inzwischen fast vier Jahre für Leica", sagt Achim Heine, "und unser Büro ist zugleich mit allen Arbeiten betraut, die die visuelle Kommunikation und Positionierung der Marke betreffen, also Corporate Design, Internetgestaltung, Broschüren- und Buchgestaltung; sogar zwei Fernsehspots haben wir produziert." Die Digilux sollte Benutzer der Leica und anderer Analogkameras ansprechen. Ihr Design ist wie ein Schuhlöffel, der einem den Einstieg in ein neues Denken vereinfacht und das Gefühl vermittelt, man schlüpft noch ins vertraute Gehwerkzeug. Darum ist sie auch nicht um jeden Preis miniaturisiert worden. Zwar rechnet Heine vor, dass einige der Produkteigenschaften - besonders großes Display, lichtstarkes Objektiv (Vario-Summicron 1:2,0-2,5/ 7-21 mm; entspricht 33-100 mm KB), Verrechnung der Bildinformation - eben ihren Platz brauchen. Doch man sieht auch die Absicht, zur Größe zu stehen. Sollte man versuchen, fragt Heine, die Kamera optisch kleiner wirken zu lassen? "Dies ginge zum Beispiel, indem man alle präzisen Kanten und Linien weich und rund ,verlutscht'. Da aber die Kamera dadurch kaum kleiner geworden wäre, haben wir uns dafür entschieden, sie lieber präzise, ,instrumentiger' zu interpretieren: eine klare, additive Formensprache, die Leica-typisch ist." Wer die "seifenstückartige Ästhetik" vieler Konkurrenzprodukte ablehne - also Leute, die auch eine mechanische Uhr tragen oder ein Auto ohne Schnickschnack fahren -, der zähle zur weiteren Zielgruppe für die Digilux. Die Video-Funktion, hört man, war eine Konzession an die Marketing-Leute in Solms bzw. Tokio, die die Puristen lieber weggelassen hätten. Andererseits gibt es manuelle Entfernungseinstellung, einen Schuh für einen ordentlichen Zusatzblitz und einen Sucher, in dem man tatsächlich etwas sieht. Zur Abrundung des Traditionsgefühls hat die Digilux ein Objektivkapperl, das nach Abnehmen an einem Band baumelt, welches man noch dazu händisch einfädeln hat müssen - wäre es nicht eine Leica, würde man von einem raffinierten Retro-Look sprechen. Und die Bilder selbst? Ein Freund verglich die Digilux mit seiner Fuji im Porsche-Design, bearbeitete Ausschnitte des gleichen Motivs auf seinem Computer und meinte, dass die Überlegenheit der Leica bei normalen Vergrößerungen irrelevant sei. Ein Techniker bei Foto Wachtl am Wiener Graben andererseits machte große Drucke von Makroaufnahmen von Blüten. "Die Feinheiten der Details", sagt er, "sind nicht mit den vier Megapixeln allein zu erklären, die haben mit der unschlagbaren Leica-Optik zu tun." Profigerät ist es dennoch keines, eher eines für die neuerdings angepeilte Gruppe der prosumers , der sich semi-professionell dünkenden Konsumenten. Auch der Preis von 1250 Euro ist sozusagen halbberuflich, ein gewisser Aufschlag dafür, am Leica-Mythos teilzuhaben, mag dabei sein. Aber die gelungene Einbindung der digital flüchtigen Piepstechnik in die feinmechanische Ästhetik: unbezahlbar. (DER STANDARD/rondo/Michael Freund/29/11/02)