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Das Internet bringt auch den Verlust von Privatsphäre. E-Mails sollten für die Absender kostenpflichtig werden. Das würde die zunehmende Flut von unerwünschten Mails eindämmen, meint Internetpionierin Esther Dyson im Gespräch mit Helmut Spudich.

Foto: APA/Mobilkom Austria

STANDARD: Frau Dyson, gehen Sie Online shopping?

Dyson: Ja. Ich kaufe generell nicht sehr viel ein, aber für die Einkäufe, die ich tätige, ist Online sehr bequem.

STANDARD: Welche Arten von Sachen kaufen Sie über Internet ein, ohne in Ihre Privatsphäre eindringen zu wollen?

Dyson: ... Unterwäsche (lacht), - eigentlich kaufe ich dasselbe wie offline mit Ausnahme von Lebensmittel: Flugtickets, Hoteltickets, Kleidung.

STANDARD: Zahlen Sie dabei mit Kreditkarte?

Dyson: Natürlich.

STANDARD: Haben Sie Angst, dass dabei Ihre Karteninformation betrügerisch verwendet werden kann?

Dyson: Nein - genauso gut kann man Offline betrügen. Leute machen sich viel zu viel Sorgen über die falschen Dinge. Sie sorgen sich, dass man ihre Kartennummer stehlen könnte, und dann verlieren sie ihre Kreditkarte einfach auf der Straße. Sie haben vor diesem und jenem Angst, und dann posten Sie öffentlich dumme Sachen und wundern sich, dass sie zitiert werden.

STANDARD: Was wären die richtigen Dinge, über die man sich sorgen sollte?

Dyson: Das ist sehr simpel - wenn Sie nicht wollen, dass etwas von Ihnen kopiert und weiterverschickt wird, dann schicken Sie das niemanden. Leute neigen zur Paranoia bei Dingen, die sie glauben nicht kontrollieren zu können, und sind bei anderen Dingen sehr unvorsichtig.

STANDARD: Aber manchmal müssen wir auch vertrauliche Dinge weitergeben.

Dyson: Sie können Ihre Mail verschlüsseln, aber die Frage dreht sich vielmehr darum, ob Sie Ihrem Empfänger vertrauen oder nicht. Menschen werden lernen, dass in Zukunft ohnedies alles öffentlicher als heute ist. Menschen machen heute viele Dummheiten, nur schaut keiner hin. Künftig wird man praktisch ständig fotografiert werden, jemand wird die SMS aufheben, die Sie verschicken, und wir werden uns einfach daran gewöhnen, dass Leute sehr oft sehr unsinniges machen, was nicht so blamabel sein wird.

"Privatsphäre wie ein Rockstar"

STANDARD: Verlieren wir im Zuge der technologischen Entwicklungen einen Teil unserer Privatsphäre?

Dyson: Ja. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Rockstar, dann haben Sie keine Privatsphäre. Menschen können dann sehen, dass Rockstars auch Dummheiten machen, aber die Entschädigung dafür ist, dass Sie auch in einem überfüllten Restaurant sofort einen guten Tisch bekommen. Künftig ist jeder in Hinblick auf seine Privatsphäre wie ein Rockstar - nur dass wir keinen guten Tisch bekommen.

STANDARD: Was sind die Gefahren dieser Entwicklung?

Dyson: Die Gefahr ist, dass uns nicht bewusst ist, dass wir uns diesen Nachteil einhandeln. Manchmal bin ich öffentlich, ein andermal möchte ich sehr privat sein - die Herausforderung besteht darin, diese Realität besser verstehen zu lernen als das bei den meisten Menschen heute der Fall ist.

Ich glaube, dass die Kids das schon wissen: Sie wissen, wenn man etwas postet, dann werden es ihre Freunde wieder posten. Die Erwachsenen sind darüber noch erstaunt. Das ist wie bei den ersten Telefon vor hundert Jahren: Man muss die Verwendung und Implikationen einer neuen Technologie einfach erlernen.

Spam als Spaß

STANDARD: Bekommen Sie viel Spam (unerwünschte Massenmail, Anm.)?

Dyson: Aber ja.

STANDARD: Wie gehen Sie damit um?

Dyson: Es macht mir eigentlich Spaß. Ich habe meine Karriere als Journalistin begonnen und finde sehr, sehr viele Dinge interessant, inklusive Spam. Ich heb mir die mit den wirklich witzigen Betreff-Zeilen auf, etwa die Nigerianischen...

STANDARD: ... die Mails, die einen immer erzählen, dass man ein paar Millionen Dollar lukrieren kann ...

Dyson: ... genau, und die meisten sagen "Urgent Assistance" oder "Please Help", oder jetzt gibt es ganz entzückende mir "Bitte seien Sie mein nächster Anverwandter", das ist doch eine sehr nette Aufforderung.

Aber um etwas ernsthafter zu sein: Ich lösche es, es ist ärgerlich, dumm - hin und wieder antwortet jemand auf die nigerianischen Spams und wird betrogen - aber ich glaube nicht, dass Spam ein riesiges soziales Problem ist.

Esthers Spamfilter

Natürlich verbraucht Spam auch Netzwerk-Kapazität. Es gibt eine langfristige, sehr einfache Marktlösung: Ein Dienst, der mein Spamfilter ist. E-Mail an mich läuft hier durch und ich habe eine Liste von mir bekannten Absendern deponiert, deren Mail direkt an mich weitergeht. Wenn jemand unbekannter schreibt, geht die Mail an den Absender mit der Mitteilung zurück: "Ich bin Esthers Spamfilter, sagen Sie mir ihre Kreditkartennummer und wir verrechnen Ihnen für die Zustellung Ihrer Mail drei Dollar. Esther bekommt davon 2,50, wir bekommen als Vermittler 0,50, und wenn Esther Ihre Mail wirklich haben will, wird sie die Gebühr stornieren."

Wenn es wirklich Spam ist, wird der Absender nicht zahlen wollen. Dann gibt es noch lästige Mitmenschen, bei denen werde ich wenigstens damit entschädigt, dass ich ihnen drei Dollar verrechnet habe. Und wenn mir etwa jemand als Journalistin eine Presseaussendung schicken will, dann wird er wahrscheinlich bezahlen, denn es kostet ihm ja auch sonst Geld, seine Empfänger zu erreichen.

Das würde die Dynamik komplett verändern. Es wäre wie bei Papiermail: Der Absender trägt die Kosten.

Content im Internet

STANDARD: Der meiste Content im Internet ist heute gratis, Anbieter haben es schwer etwas zu verrechnen. Wird das Netz immer eine Mischung aus privatem, persönlichen Content und den Angeboten von Unternehmen bleiben?

Dyson: In mancher Hinsicht haben Sie recht. Aber es ist wie in diesem Kaffeehaus - wenn man sich hier umschaut könnte man den Eindruck gewinnen, das ganze Essen dieser Welt gibt es nur kommerziell in Restaurants. Aber tatsächlich es eine riesige Welt der Hausmannskost. Im Internet ist es dasselbe, es gibt sehr viel selbst Gekochtes, private Kommunikation, Leute die aus Spaß Karaoke singen - Menschen die sich mit anderen unterhalten statt Geld machen wollen. Ich glaube, dass es eine Menge nicht kommerzieller Angebote im Netz geben wird, die kein Müll sind, und das ist gut.

STANDARD: Welcher Platz bleibt dann für Journalismus?

Dyson: Journalismus ist dabei die härteste Nuss. Es wird zwar Werbung geben, obwohl Internet nicht das beste Medium dafür ist. Die wirkliche Herausforderung besteht darin, dass wirklich guter Journalismus viel Geld kostet - und es wird immer härter, ihn zu finanzieren, weil die Kleinanzeigen und bezahlten Börsenkurse und so weiter nicht mehr existieren, weil (im Netz) alles entbündelt wird. Ich glaube, dass in Zukunft richtiger Journalismus Stiftungen und reiche Leute braucht, die "die Wahrheit" sponsern wollen. Es wird eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft sein, wie man jemand dazu bringt, für "die Wahrheit" zu bezahlen.

Journalismus - eine Art Non-Profit-Organisation

STANDARD: Heißt das, dass Journalismus eine Art Non-Profit-Organisation wird?

Dyson: Mehr oder weniger. Mehr Stiftungen, oder etwas wie die Washington Post, wo eine Familie sagt, wir machen etwas, was nicht sehr gewinnbringend ist.

STANDARD: Aber die Washington Post wurde profitabel.

Dyson: Ja, aber reden Sie mit ihnen, sie haben eine Menge Kostendruck. Es ist wirklich viel schwieriger, "die Wahrheit" zu sponsern als kommerzielle Medien.

STANDARD: Mit all der Übertragungs-Bandbreite und dem Multimedia-Angebot, das sich entwickelt, sehen Sie eine Gefahr darin, dass sich das Internet einfach in einer weitere elektronische Spielarkade verwandelt und die anderen Teile verdrängt?

Dyson: Nein. Das großartige am Internet ist, dass es de facto unendlich ist. Es kann soviele Spielarkaden geben, wie man will, und es kann genau so viel Kommunikation geben, wie Menschen wollen. Es zerspringt dadurch nicht - in der Hinsicht ist es ganz anders als das TV-Frequenzspektrum, das begrenzt ist. Das Internet erlaubt wirklich freie Wahl, es kommt nur darauf an Menschen beizubringen, dass sie nicht nur Junk wollen.

"Das Internet ist in Russland viel wichtiger als es je im Westen war"

STANDARD: Sie haben sich sehr stark bei der Entwicklung Russlands und der ost- und mitteleuropäischen Staaten engagiert. Welche Rolle spielt Internet hier?

Dyson: Zunächst muss man den Unterschied zwischen Osteuropa und den USA verstehen: In den USA haben wir TV gehabt, wir hatten Messen, wir hatten Gratis-Telefonnummern, Unternehmensmitteilungen - es ist einfach Information zu erhalten und es gibt sehr viel gesponserte Informationen, gute und schlechte.

Wenn man nach Russland geht ist dort das Internet ein komplettes Wunder, viel aufregender als es je in den USA war, weil man in Russland keines von diesen Angeboten hatte, keine Information, keine Märkte, kein Wissen über die Welt, keine Möglichkeit der freien Kommunikation mit anderen Menschen, alles war geheim und verborgen. Für die Russen war das Internet wie Wasser in der Wüste und für die Leute, die sich einloggten, war das sehr aufregend.

Inzwischen ist die Benutzung natürlich viel breiter geworden und es ist sogar so etwas wie ein Unterhaltungsmedium geworden. Aber das Internet ist in Russland viel wichtiger als es je im Westen war, auch wenn es im Westen so viel größer und so viel mehr Geschäft ist und viel mehr Wirbel gemacht wird. Es ist in Russland ein sehr wichtiges Geschäftswerkzeug geworden, und ein soziales und kulturelles Werkzeug, auch wenn es noch nicht so weit verbreitet ist. Aber es ist in mancher Hinsicht viel aufregender.

Unterschiede USA - Europa

STANDARD: Warum ist in den USA Internet wesentlich erfolgreicher als Mobilfunk, während in Europa Mobilfunk viel verbreiteter als Internet ist?

Dyson: Zum einen begann das Internet in den USA, wo es auch eine installierte Basis an Computern gab. Es gab eine etwas andere Kultur: Menschen verwendeten bereits PCs: Finanzanalysten für Kalkulationen und Journalisten zum Schreiben. Darum gab es beim Start des Internets zwei einflussreiche Gruppen Meinungsbildner, die gleich aufsprangen. Männer genierten sich nicht, auf Computer zu tippen - obwohl schreibmaschinschreiben als feminin galt. Das ist schon vor dem Web förmlich explodiert und wurde für E-Mail in der Geschäftskommunikation verwendet, Unternehmen verwendeten EDI für ihre Abwicklung. Dazu kam ein Telefonnetz, dass sehr gut funktionierte, während Handys in den USA einen schlechten Start hinlegten: Die Systeme funktionierten nicht sehr gut, es gab kein Roaming, und es war viel teurer. Darum haben sich die Leute auf Internet konzentriert.

In Europa war das anders: PCs verbreiteten sich langsamer, Männer wollten nicht tippen und es gab auch nicht viel europäischen Content im Netz, weil es sehr US-lastig war. Als Mobilfunk auf den Markt kam, gab es Festnetze, die viel teurer als in den USA waren, darum war der relative Preisunterschied nicht sehr hoch. Das hat die Verbreitung sehr unterstützt, vor allem in Osteuropa, wo man manchmal ein Jahr auf einen Festnetzanschluss warten muss. Die meisten meiner Freunde dort, die übersiedeln, nehmen von Anfang an ein Mobiltelefon.

STANDARD: Verwenden Sie ein Handy? Sie haben ja auch ihren Festnetzanschluss daheim schon vor vielen Jahren abgemeldet.

Dyson: Ich habe eines, aber ich verwende es nicht sehr oft. Ich bin eine sehr E-Mail-zentrierte Person. In Europa ist ein Handy viel nützlicher als in den USA. Noch was, obwohl ich weiß, dass das komisch klingt: Die Sekretärinnen sind in den USA viel besser. In Europa sind Leute viel stärker auf direkten Kontakt angewiesen als auf E-Mail. E-Mail kann ich heute jedem schreiben, in Europa ersucht man die Sekretärin, jemand anzurufen.

STANDARD: Glauben Sie, dass die viel beworbenen Datendienst-Möglichkeiten der dritten Handygeneration tatsächlich ein breites Publikum finden werden?

Dyson: Ich finde diese Anwendungen sehr aufregend - das Interessante an einem Handy ist, dass es sehr persönlich ist. Man wird sein Handy zum Beispiel programmieren können, wie es auf verschiedene Anrufe reagieren soll, oder welche Informationen man regelmäßig erhalten will. Eine US-Pharmafirma etwa bietet jetzt einen Erinnerungsdienst für die Medizin, die man einnehmen muss. Das ist wirklicher Service und keine belästigende Werbung.

UMTS-Gebühren "ein beidseitiger Fehler"

STANDARD: War es ein Fehler, dass in Europa so hohe Gebühren für UMTS-Lizenzen verlangt wurden?

Dyson: Das ist eine lange Geschichte, aber sicherlich: Das war ein Fehler, und die Unternehmen machten einen Fehler als sie so viel bezahlten. Es war ein beidseitiger Fehler. (Kurzfassung in DER STANDARD, Printausgabe, 30.11./1.12.2002)