Wien - Ein (virtuelles) Orchester, das rund um die Uhr zur
Verfügung steht und bei dem der Komponist jeden Ton bis in die
Nuancierung im Griff hat - diesen Musikertraum soll das Vienna
Symphonic Library (VSL) ein Stück näher an der Realität bringen. Aus
1,5 Millionen Tonsamples, von Musikern renommierter Wiener Orchester
eingespielt, können nach Vollendung des österreichischen Projektes
vollständige Orchesterwerke auf Computer, Keyboard und Sampler so
nachgebildet werden, dass der Klang dem realen Vorbild kaum
nachsteht. "Nicht einmal Profis können das unterscheiden", so der
Projektinitiator, Cellist, Filmkomponist und Regisseur Herb Tucmandl.
(Fast) alle Töne, die jedes einzelne Instrument in einem Orchester
und kleine Instrumentengruppen (sowie ein paar seltene "Exoten")
hervorbringen können, in unterschiedlichen Lautstärken und
Spieltechniken und in einem normierten Verfahren aufgenommen, finden
sich wahlweise auf DVDs oder in einer eigenen Hard-Disk-Edition, dem
Symphonic Cube. Letztere wird 250 Gigabyte an Sampledaten enthalten.
Editieren selbst von Trillern
"Es ist alles vorhanden, was das Instrument kann", so Tucmandl. Über
Sampler angesteuert, können diese Töne durch ein eigenes Performance
Tool mit verschiedenen Nuancierungen, Legato, Staccato, Läufen und
Trillern zu einem realistischen Orchestersound zusammengefügt werden.
Wobei selbst bei den Läufen und Trillern jeder einzelne Ton editiert
werden kann. Die Software "macht das Keyboard intelligenter", so
Tucmandl. Sie erkenne, welcher Intervall gespielt wird, und holt aus
dem Tonbestand selbstständig die entsprechenden Klangsamples.
Kein Denken in Einzeltönen
"Musiker denken nicht in Einzeltönen", so Tucmandl, der das VSL
schon in Los Angeles vorgestellt hat und Dienstag, nun auch
in Österreich präsentiert. Der wichtigste Unterschied des VSL zu
bisherigen Orchestersound-Librarys sei demnach, dass für das VSL
"Tonabfolgen aufgenommen und zerlegt werden und der Komponist diese
Abfolgen nach eigenen Vorstellungen wieder zusammensetzen kann".
Dadurch werde eine "größtmögliche Authentizität" gewährleistet.
Musik nicht nur im Kopf
Das VSL wendet sich, neben Tonstudios und der Filmwelt, vor allem
auch als "Starthilfe" an wenig bekannte Komponisten, die dadurch die
Chance haben, ihre Werke auch ohne kostspielige und oftmals kaum
verwirklichbare Aufführungen "hörbar" zu machen. Dadurch könnten
diese ihre Werke "vielleicht leichter an den Mann bringen". Auch
einen pädagogischen Aspekt für Musikstudenten sieht Herb Tucmandl,
vor allem in der "komplexen Materie" der Instrumentierungslehre.
"Alle große Komponisten haben ihr Leben lang bei den Aufführungen
ihrer Werke gelernt und diese Klang-Erfahrungen ins nächste Werk
eingearbeitet". Mit dem VSL können Studenten und Komponisten nun "die
Klangvorstellungen realisieren, die sie im Kopf hat".
Nieman will im Konzert einem Computer zuhören
Es sei "durchaus denkbar", CDs zu veröffentlichen, auf denen mit
dem VSL eingespielte Werke zu hören sind - auf den Aufführungsbetrieb
ist das jedoch nicht umzulegen. "Niemand geht in ein Konzert und hört
dem Computer beim Spielen zu", so Tucmandl.
Aufgenommen werden die Instrumente mit Hilfe von über 30 Editing
Engineers in einem eigens konstruierten, im Dezember des Vorjahres
fertig gestellten Studio in Ebreichsdorf bei Wien, der so genannten
"Silent Stage". (APA)