Inland
<b>Literatur im O-Ton</B>: Sichrovskys Abrechnung mit Haider
Ex-FPÖ-Generalsekretär gestaltet satirisches Gespräch vor dem Parteitag
Wien - Vor der Nationalratswahl hat Ex-FPÖ-Generalsekretär
Peter Sichrovsky bereits in mehreren Interviews deutlich mit der FPÖ,
vor allem aber dem Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider abgerechnet.
Im Nachrichtenmagazin "profil" veröffentlichte Sichrovsky nun unter
dem Titel "Die Sarggeburt" einen Gastkommentar, in dem er sich dem
Thema aus literarischer Sicht annimmt. Zu Papier gebracht hat der
Schriftsteller und weiter tätige FPÖ-EU-Abgeordnete ein als Satire
gestaltetes Gespräch, das vor dem außerordentlichen
Parteitag der FPÖ in Salzburg zwischen Parteichef Herbert Haupt und
Haider stattgefunden am Sonntag haben könnte. "Die Sarggeburt"
"Durch Zufall wurde ein Telefonat zwischen dem Obmann der FPÖ,
Herbert Haupt, und dem Landeshauptmann von Kärnten, Jörg Haider, am
Abend vor dem Parteitag am 8. Dezember 2002 in Salzburg dokumentiert.
Jörg H.
: Herbert, was wirst du denn sagen morgen am Parteitag?
Herbert H.
: Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du morgen ...
Jörg H.
: Durch die Mitte musst du reinmarschieren, die Musik laut,
Marschmusik am besten, und die Scheinwerfer auf mich, das Video live
auf einer riesigen Leinwand und die Kamera auf mich ...
Herbert H.
: Das heißt, du kommst doch, aber du hast doch noch
gestern gesagt, dass du ...
Jörg H.
: Dann springen sie von ihren Sesseln, drängen zu mir,
wollen mir die Hand schütteln, auf die Schulter klopfen oder mir nur
zuwinken, weil sie mich nicht erreichen, solche Gesichter vergisst du
nicht. Du weißt, sie rennen dir nach, egal, wohin du gehst, der ganze
Saal steht zu mir, ja, die glauben noch an mich, alle! Was hast du
gefragt? Ich komm auf keinen Fall zum Parteitag!
Herbert H.
: Nun gut, dann können wir ja über meine Rede sprechen
...
Jörg H.
: Und nicht gleich aufs Podium, bleib unter den Leuten, geh
von Tisch zu Tisch, begrüße sie einzeln, nenn ein paar Namen, sie
werden es dir nie vergessen, dann dreh dich um, immer noch auf einer
Ebene mit ihnen, reiß die Arme in die Höhe und lass sie alle
schreien, laut und lang, bis sie dich aufgenommen haben als einen von
ihnen, der sie versteht, an sie glaubt, dankbar und treuherzig ihre
Loyalität zur Kenntnis nimmt, und dann gehe ich Schritt für Schritt
auf die Bühne, volles Licht auf mich, und mit einem Schlag ist alles
vorbei, aus, Ruhe, kein Ton mehr, kein Licht, keine Marschmusik, und
sie werden leiser und leiser, bis sie sich wieder setzen, und doch
sind es jetzt ganz andere, die dort unten auf mich gewartet haben,
nichts ist mehr in diesem Saal wie zuvor, das ist dann mein Saal,
meine Leute, mein ...
Herbert H.
: Also du kommst doch ...
Jörg H.
: Das versteht nämlich keiner, aber die dort sitzen, die
lieben mich, ja, die lieben mich wirklich, und deshalb darf ich sie
auch nicht enttäuschen, das würden sie nicht ertragen, es würde einem
Betrug gleichkommen ...
Herbert H.
: Also, wenn du jetzt doch kommst, müssen wir das
Programm noch einmal umstellen!
Jörg H.
: Deshalb konnte ich auch in Knittelfeld gar nicht anders
handeln, was hätt ich denn tun sollen? Diese Menschen enttäuschen?
Die, die mir ewig treu sind, auf die ich mich verlassen kann, weil
sie sich auf mich verlassen können? Knittelfeld wird noch einmal in
die Geschichte der Partei eingehen als die Wende zur Wahrheit, zur
Ehrlichkeit und zur Treue. Diese Parteifreunde haben meine
hundertprozentige Unterstützung verdient, im Gegensatz zu den
Verrätern, die, groß geworden durch meine Arbeit, nun sich gegen mich
richten wie bösartige Kinder, die die Mutter verstoßen und den Schoß
verleugnen, der sie gebar ...
Herbert H.
: Ist ja gut, Jörg, reg dich nicht so auf, du kannst ja
ruhig kommen, ich muss es nur wissen, auch wegen der Rednerliste!
Jörg H.
: Was meinst du mit Rednerliste? Ich komm natürlich nicht
zum Parteitag! Was sollte ich dort? Zu den Verrätern sprechen? Nach
dem, was ich für die Partei getan habe, nun das, diese Verleumdungen,
diese Lügen, dieser Hass! Verrat ist das! Ja, Verrat! Und so sollte
er auch bestraft werden! Nie wieder geh ich zu einem Parteitag! Nie
wieder sehen die mich dort!
Herbert H.
: Nun ja, wenn du jetzt doch nicht kommst, dann ...
Jörg H.
: Knittelfeld! Ja, das war wie in alten Zeiten! Wie wenn
draußen ein Orkan die Mauern des Hauses erbeben lässt, und drinnen im
Saal, unbeirrt der Bedrohungen von außen, stehen die Kameraden im
Saal zu mir und reagieren auf jedes Wort, bevor es noch ausgesprochen
ist! Da musste nicht viel erklärt werden, keine langen Diskussionen,
Blicke genügten, und ich wusste damals, diese Partei ist immer noch
meine Partei, und Werte wie Verlässlichkeit, Standhaftigkeit und
Anständigkeit kann ein noch so großer Wahlerfolg nicht ersetzen!
Herbert H.
: Jörg, du musst mir jetzt sagen, ob du morgen kommst!
Ich muss mich doch vorbereiten!
Jörg H.
: Vorbereiten? Wozu? Was willst du vorbereiten?
Herbert H.
: Na meine Rede natürlich!
Jörg H.
: Was für eine Rede? Wozu willst du reden?
Herbert H.
: Ich bin doch der Kandidat! Natürlich muss ich das
Hauptreferat halten!
Jörg H.
: Lass mich das nur machen! Wenn ich dich unterstütze,
bekommst du die notwendigen Stimmen, wenn ich dich vorschlage, nur so
wählen die dich auch! Auf einmal soll ich gar nicht reden? Du kannst
doch nicht auch noch mir in den Rücken fallen! Ich hab doch gar
niemand mehr, der zu mir hält, alle verlassen mich, keiner kennt mich
mehr, niemand ruft an, keine Journalisten, keine Kameras, was hab ich
denn getan, ich bin's doch, immer noch der Jörg!
Herbert H.
: Natürlich kannst du reden, ich muss es doch nur
wissen, verdammt noch einmal!
Jörg H.
: Da bitte! Jetzt schreist auch du noch mit mir! Wie die
anderen! Du bist doch genau so einer! Was fällt dir ein! Was wärst du
heute ohne mich! Aufgeopfert hab ich mich für euch alle, und wo ist
der Dank?
Herbert H.
: Ich plan dich dann also gleich nach mir ein auf der
Rednerliste?
Jörg H.
: Du kannst ohnehin machen, was du willst, ich komm sowieso
nicht!
Herbert H.
: Also gut, gleich als Erster, noch vor mir!"
(APA)