"Anacaona" machte die kubanische Son-Musik bereits vor dem "Buena Vista Social Club" salonfähig - Alicia Castro erzählt ihre Geschichte
Redaktion
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München - Spätestens seit dem Film "Buena Vista Social
Club" ist die kubanische Son-Musik international ein Begriff. Doch
schon Jahrzehnte bevor Compay Segundo, Ibrahim Ferrer oder Ruben
Gonzalez nach dem Erfolg des gleichnamigen Wim Wenders-Streifen auf
ihre alten Tage auf Tournee gingen, machte die kubanische Frauenband
"Anacaona" weit über die Karibikinsel hinaus Furore. 70 Jahre nach
deren Gründung erzählt jetzt die heute 82-jährige Saxofonistin Alicia
Castro die Geschichte dieser ersten kubanischen Frauenband.
Aus wirtschaftlicher Not entstanden
Die Geburtsstunde von "Anacaona" schlug 1932, als sich sieben
Töchter des Gemüsehändlers Matias Castro - nicht verwandt mit Kubas
Revolutionsführer - in wirtschaftlich schweren Zeiten zu einem Son-
Septett zusammenschlossen. Der Name stammt von einer legendären
Indianerfürstin aus der Zeit der spanischen Eroberung. Nach und nach
kamen alle elf Castro-Schwestern in der Band zum Einsatz und spielten
abends in den Straßencafes Havannas Son, Jazz, Mambo, Rumba und
Cha-Cha-Cha. 1937 gelang der internationale Durchbruch, es folgten
Konzerte in New York und Paris, dazu ausgedehnte Tourneen durch
Mexiko und Südamerika. Nach der Revolution von 1959 blieben die
meisten der Castro-Schwestern im Lande, und "Anacaona" wurde zum
Staatsensemble. 1989 wurden die Musikerinnen pensioniert.
Frauenband in einem Macholand
In ihren Erinnerungen, die von ihrer in Deutschland lebenden
Nichte Ingrid Kummels und deren Journalistenkollegen Manfred Schäfer
aufgeschrieben wurden, lässt Alicia Castro die Vergangenheit noch
einmal Revue passieren. Die Gründung einer Mädchenband in einem
Macholand wie Kuba in den 30er Jahren sei alles andere als
selbstverständlich gewesen. Doch Alicia weiß zu berichten, "dass wir
uns innerhalb kürzester Zeit gegen die Herren der Schöpfung
durchsetzten, gegen solche, die dachten, Frauen gehören entweder nach
Hause an den Herd oder sie arbeiten im Puff."
"Vulgäre Musik des einfachen Volkes"
Den Weg von einer Gruppe minderjähriger Mädchen in den frühen 30er
Jahren bis zu einer "Band aus acht oder neun älteren, matronenhaften
Damen" in den 80ern kann der Leser auch anhand einer Vielzahl von
Fotos nachverfolgen. Darüber hinaus gewährt Alicia Castro viele
Einblicke in die kubanische Gesellschaft. So galt der Son früher als
"vulgäre Musik des einfachen Volkes" und wurde erst mit den Erfolgen
im Ausland gesellschaftsfähig. Im vorrevolutionären Kuba spielten die
Castro-Schwestern in vornehmen Clubs, in die man sie als "Mulattinnen
mit indianischem Einschlag" sonst nie hineingelassen hätte. Alicia
berichtet auch von den Problemen kubanischer Männer, mit
erfolgreichen Frauen zusammenzuleben. Deshalb waren die meisten
Castro-Schwestern nur kurz oder gar nicht verheiratet.
Applaus, der die Seele wärmt
Die kubanische Revolution begleitete Alicia mit Begeisterung, aber
auch mit Skepsis. Mit den Auslandstourneen hatte es ein Ende, und sie
passte sich den neuen Verhältnissen so gut es ging an. Immerhin
stuften die kommunistischen Kulturbürokraten "Anacaona" in die
höchste von vier Gehaltsgruppen ein. Mit 56 heiratete Alicia, doch
ihr Mann setzte sich vier Jahre später, während der Massenflucht von
1980, in die USA ab - ein typisch kubanisches Schicksal also. Heute
lebt Alicia Castro mit zweien ihrer Schwestern im einstigen
Elternhaus in Havanna und denkt manchmal mit Wehmut zurück "an die
Momente der Anerkennung, in denen der Applaus die Seele wärmt." (APA)
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