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Cohn-Bendit: "Ich hätte kein Angst vor Schüssel"

foto: apa/epa/dpa/altwein
Der französische Grünen-Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit empfiehlt den österreichischen Grünen eine Koalition mit der ÖVP auf Zeit. "Das Nadelöhr der Verantwortung ist die Zukunft Europas", sagt er im Gespräch mit Katharina Krawagna-Pfeifer.
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STANDARD: Sie haben die Wahlen in Österreich sehr genau verfolgt. Zuletzt haben Sie eine Woche vor dem 24. November für die Grünen in Wien geworben. Was raten Sie jetzt Ihren Parteifreunden? Sollen sie mit der ÖVP koalieren? Cohn-Bendit: Die Grünen haben Wahlkampf gemacht, um Schwarz-Blau zu verhindern. Die Sozialdemokraten haben Wahlkampf gemacht, um Schwarz-Blau zu verhindern. Die österreichischen Wählerinnen und Wähler haben aber Rot-Grün nicht die Mehrheit gegeben. Das heißt, diese Variante der Verhinderung von Schwarz-Blau ist nicht mehrheitsfähig. Jetzt aber müssen wir uns fragen: Was sind die Hauptprobleme, die auf Österreich in den nächsten Jahren zukommen? Das sind die europäische Erweiterung und die Ausformulierung der europäischen Demokratie. STANDARD: Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Cohn-Bendit: Die Grünen könnten folgende Überlegung anstellen: Anbetracht der Divergenzen, die es während des Wahlkampfes gab und die ja weiter bestehen, muss man sehen, dass es mit der ÖVP in vielen Fragen keine Einigung gibt. Daher sollten Schwarz und Grün ein Bündnis auf Zeit schließen. STANDARD: Jede Koalition ist auf Zeit geschlossen. Cohn-Bendit: Ich meine, das Bündnis wird nicht auf die ganze Legislaturperiode geschlossen, sondern es geht um ein Zeitbündnis, um die europäische Erweiterung und die Frage der Verfassung für Europa miteinander zu stemmen. Um so zu verhindern, dass eine antieuropäische Partei wie die FPÖ in dieser historischen Situation etwas zu sagen hat. STANDARD: Das heißt, Sie empfehlen den österreichischen Grünen die Unterstützung einer Minderheitsregierung? Cohn-Bendit: Nein. STANDARD: Auf das liefe es aber hinaus. Cohn-Bendit: Noch einmal nein. Ich sage, die Grünen gehen in die Regierung, stellen den Außen- oder Europaminister, und sie wollen mit den Konservativen zum Wohle Österreichs diese schwierige Phase - also eineinhalb Jahre - bis zur Regierungskonferenz regieren. STANDARD: Welchen Sinn hätte das denn? Da würde die ÖVP doch besser gleich eine Minderheitsregierung machen. Cohn-Bendit: Nein. Die Grünen wollen ja mitmachen und das Projekt Europa mitstemmen. In einer Minderheitsregierung macht das aber nur Schüssel. STANDARD: Warum dann nicht gleich vier Jahre mitregieren? Cohn-Bendit: Weil ich glaube, dass die Divergenzen noch zu groß sind. Man kann sich aber auf Europa einigen. Und dann könnte man in diesen zwei Jahren etwa in der Frage der Einwanderung und des Asyls unter Moderation der Kirchen eine gemeinsame Position finden, die bis jetzt nicht gegeben ist. Die wird auch nicht in den wenigen Wochen der Koalitionsverhandlungen gefunden werden können. Eine gemeinsame Position ist derzeit nur für das europäische Projekt zu finden. Dann haben die beiden eineinhalb oder zwei Jahre Zeit, um entweder etwas Gemeinsames zu machen oder zu sagen, Europa ist vollendet. Wir haben die Verfassung Europas und die Erweiterung, und jetzt machen wir Neuwahlen. STANDARD: Das würde eine Projektkoalition bedeuten, die nur auf europäische Fragen begrenzt ist - mit der Option, wenn es andere inhaltliche Annäherungen gibt, weiterzumachen? Cohn-Bendit: Wenn in der Frage der Sozialsysteme, für mehr Autonomie der Gesellschaft, sich etwas anbieten würde, könnte man weitermachen. Aber die Zeitkoalition hätte den Vorteil, dass man den Kritikern von Schwarz-Grün sagt, das ist ein Bündnis aus Verantwortung für Österreich. STANDARD: Heißt das nicht, dass die Grünen allmählich inhaltlich von der ÖVP aufgefressen werden? Cohn-Bendit: Wenn jemand mit den Grünen koaliert, wird er Inhalte der Grünen übernehmen. STANDARD: Oder umgekehrt. Cohn-Bendit: Wenn man so anfängt, sieht man, dass die Unterschiede zu groß sind. Das Nadelöhr der Verantwortung ist die Zukunft Europas. Wenn man sich dem verweigert, überlässt man automatisch das Feld der FPÖ. Denn die FPÖ in der Regierung beeinflusst Schüssel, auch wenn er etwas anderes will. Es ist ein Unterschied, wenn ein grüner Außenminister den Konvent mit vorbereitet. STANDARD: Wie sehr hat Ihrer Meinung nach die derzeit schlechte Performance der rot- grünen Regierung in Deutschland das Wahlergebnis in Österreich beeinflusst? Cohn-Bendit: Das glaube ich nicht. STANDARD: Und warum bedankt sich dann Stoiber im Namen der ÖVP bei Schröder? Cohn-Bendit: Das sind alles politische Spielereien. Herr Stoiber hat auch in der Nacht der Wahl in Deutschland gemeint, dass er der Wahlsieger sei. Ich muss doch nicht idiotische Sätze von Herrn Stoiber kommentieren. Die Österreicher haben so entschieden, weil der Schüssel einen guten Wahlkampf gemacht hat. Die Stimmen hat er nicht von Rot- Grün geholt, sondern von der FPÖ. Seit wann wählt ein Land aufgrund von Ereignissen in einem anderen Land? STANDARD: Der deutsche Bundeskanzler ist exakt deswegen während des Wahlkampfs nicht nach Wien gekommen. Cohn-Bendit: Das war die Angst der SPÖ. Schüssel hat schlicht die FPÖ intelligent gespalten, indem er Finanzminister Grasser aufgestellt hat. STANDARD: Wenn Sie sagen "intelligent spalten" halte ich dem entgegen, dass etliche Grüne exakt dieses Argument anführen, um nicht in die Regierung zu gehen. Cohn-Bendit: Es kommt immer darauf an, wie stark man sich fühlt, und das weiß man immer erst danach. Ich hätte keine Angst vor Schüssel. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.12.2002)