Karl-Heinz Grasser kennt das Spiel nur zu gut, das die Oppositionsparteien in den vergangenen Tagen getrieben habe. Als er im Februar 2000 als Finanzminister antrat, beschuldigte er sogleich seinen Vorgänger Rudolf Edlinger, dieser habe ihm ein Budget hinterlassen, in dem 100 Milliarden Schilling fehlten. Grasser kündigte damals einen "Kassasturz" an, der Edlingers Zahlen letztlich bis ins Detail bestätigte.

Der Versuch von SPÖ und Grünen, Grasser eine Defizitlüge nach Vorbild der Regierung Schröder zu unterstellen, dürfte nun noch weni- ger Erfolg beschieden sein. Schließlich war Grasser zum damaligen Zeitpunkt bereits Finanzminister und konnte an seinen Zahlen nach Belieben herumdoktern. Gusenbauer und Van der Bellen sind hingegen auf die Daten angewiesen, die ihnen das Finanzministerium übergibt - ob ein DIN-A4-Blatt oder ein 56-Seiten-Konvolut, wo ebenso wenig Neues drinsteht.

Derzeit kann man davon ausgehen, dass sich in den Staatsfinanzen keine schmutzigen Geheimnisse verbergen. Ein Defizit von 1,3 Prozent in diesem Jahr wäre zwar weit weg von null, im europäischen Vergleich aber nicht so schlecht. Und diese Zauberzahl Grassers wird wohl halten, da die Steuereinnahmen kräftig sprudeln - kein Wunder bei einer der höchsten Abgabequoten der Welt.

Die Prognosen für 2003 sind wenig wert, solange es weder ein neues Budget noch eine neue Regierung gibt. Ob das Defizit nächstes Jahr weiter steigt oder der alt-neue Finanzminister sein neues Marketingziel von einem Prozent erreicht, hängt von der Konjunktur ebenso ab wie von der Entschlossenheit der nächsten Regierung, bitter nötige Strukturreformen anzugehen.

Wenig überzeugend

In dieser Hinsicht hat Grassers gemeinsamer Auftritt mit der Elite der heimischen Wirtschaftsforscher am Dienstag wenig überzeugt. Der FPÖVP-Star hat zwar die größten Problemfelder aufgelistet - Verwaltung, Pensionen, Gesundheitswesen und ÖBB. Warum ihm aber bei der Lösung in Zukunft mehr Erfolg beschieden sein soll als in den vergangenen drei Jahren, konnte er nicht erklären. Seit der "Wende" des Jahres 2000 ist in Österreich einiges passiert, aber weder wurde die Verwaltung abgespeckt, noch wurde das Gesundheitswesen stabilisiert oder gehen weniger Menschen in Frühpension. Und die positiven Ansätze der Ausgabenpolitik wurden in den letzten Wochen vor den Wahlen wieder zunichte gemacht, als Beamte und Pensionisten noch rasch zufrieden gestellt werden mussten.

Das Grundproblem der hei- mischen Staatsfinanzen ist nicht die zu hohe Steuerbelastung - obwohl eine deutliche Senkung natürlich von Vorteil wäre - oder ein zu hohes Defizit - obwohl es peinlich ist, dass Grasser nicht einmal mehr ein Zieldatum für die Wiederkehr des Nulldefizits nennt. Österreichs wirtschaft- liche Achillesferse ist, dass der Staat die Steuern seiner Bürger zu oft schlecht einsetzt. Zu viel Geld geht für die Mühlen der Verwaltung drauf, die dank der Bundesländer doppelt und dreifach mahlen; zu viel für Wohnbauförderung; zu viel für Transferleistungen wie das Kindergeld, das qualifizierte Frauen aus dem Arbeitsprozess heraushält; zu viel für ineffiziente Provinzspitäler; zu viel für ein Pensionssystem, das OECD-und EU-Experten für besonders teuer und längerfristig für unfinanzierbar halten.

Dafür gibt es zu wenig Geld für Forschung und Entwicklung; zu wenig für Universitäten von Weltformat; zu wenig für eine intelligente Arbeitsmarktpolitik, die Jungen und Alten bessere Jobchancen verschafft; und sträfliche Versäumnisse beim Ausbau der Infrastruktur - vom Semmering-Basistunnel über die Brenner-Strecke bis zu den Autobahnverbindungen nach Prag, Brünn und Bratislava.

Bei all diesen strukturellen Punkten schneidet Österreich in internationalen Ranglisten schlecht ab. Eine Wende hier ist komplexer, langwieriger und schmerzhafter als die Erstellung eines soliden Staatshaushaltes. Doch diesen wahren Kassasturz fordert selbst die Opposition nicht ein. (DER STANDARD, Printausgabe 18.12.2002)