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Schenkung an die Albertina: Porträt des Anwalts Alfred Spitzer von dessen Klienten Egon Schiele (1911).

Foto: Albertina

Edith Neumann musste 1938 aus Österreich fliehen. Sie starb im Sommer hundertjährig. Und vermachte der Albertina je ein Blatt von Kokoschka und Schiele. Obwohl man in Wien ihre erste Schenkung in den 80er-Jahren nicht zu würdigen verstand. Und nicht versteht.

Wien/New York – "Er kam meistens zu Mittag zu uns, um mit uns zu essen. Denn er hatte nie Geld." Und: "Er war ein großer, schlanker Mann mit guten Manieren. Aber er hat nie viel geredet." Mit diesen Worten beschrieb Edith Neumann 1995 gegenüber der Kronen Zeitung ihre Erinnerungen an Egon Schiele.

Sie hatte den Maler als Dreizehnjährige, fünf Jahre vor dessen Tod 1918, kennen gelernt. Denn ihr Vater war sein Anwalt: Alfred Spitzer verteidigte Schiele 1912, als er im Kreisgericht St. Pölten wegen des Verdachts unsittlichen Kunstschaffens angeklagt war. Er bewahrte ihn nicht nur vor langen Gefängnisaufenthalten, sondern auch vor dem Verhungern.

Am 29. Juni dieses Jahres starb Edith Neumann in New York. Fünf Wochen nach ihrem 100. Geburtstag. Ihr Schicksal ist symptomatisch für den "Cultural Exodus from Austria", auch wenn ihr Name nicht in der umfangreichen Dokumentation Vertreibung der Vernunft von Peter Weibel/ Friedrich Stadler aufscheint.

Edith Spitzer promovierte 1927; sie war, wie in einem Nachruf nachzulesen ist, die einzige Frau, die zu jener Zeit an der Universität Wien Chemie und Physik studiert hatte. Im gleichen Jahr heiratete sie Frederick Neumann, einen zum Christentum konvertierten Theologen und Philosophen. Er war ein Student von Martin Heidegger, vor dem sie ihren Fred eindringlich warnte, weil der kleine Mann mit den stechenden schwarzen Augen ein "böser Mensch" sei.

1938 floh das Ehepaar über Budapest, Belgrad, Novigrad, Norditalien, Paris und London nach Haifa. Ein Jahrzehnt später wanderte es nach New York aus. Edith und ihre ältere Schwester Hanna, Hansi gerufen, verloren 34 Verwandte an das NS-Regime und den Holocaust. Und von der umfangreichen Kunstsammlung, die sie von ihrem Vater geerbt hatten, konnten sie nur wenige Werke in die USA retten. 1995 erzählte Edith Neumann, die in New Yorker Spitälern Jahrzehnte über Mikrobiologie und Tropenmedizin geforscht hatte: "Mein Vater hat Egon Schiele viele Bilder abgekauft. Leider sind uns nur vier davon erhalten geblieben." Was mit der übrigen Sammlung passierte, ist bis heute ungeklärt.

"Innige Verbundenheit"

Trotz alledem: Im Herbst 1994 änderte Edith Neumann ihr Testament. "Ich habe mich doch entschlossen, die beiden Zeichnungen: Schiele, Porträt meines Vaters, und Kokoschka, Porträt der Lydia Salmanova mit der Widmung an meinen Vater, der Albertina zu überlassen. Der Vermerk dazu: Sammlung Dr. Alfred Spitzer (1861-1923), Wien. Gewidmet von seinen Töchtern: Hanna Spitzer (1897- 1981) und Dr. Edith Neumann (1902- . . .), New York. Es versteht sich von selbst, dass die beiden Stücke nicht verkauft werden und dem interessierten Publikum jederzeit zugänglich bleiben." Die Blätter trafen kürzlich in der Graphischen Sammlung in Wien ein. Den Rest vermachte Edith Neumann dem Bard College.

In diesem Brief an Alfred Weidinger, den Stellvertreter des Albertina-Direktors, äußerte sie auch eine Bitte. Denn sie hatte der Österreichischen Galerie einige Jahre zuvor im Namen ihrer Schwester sechs Gemälde vermacht, unter anderem von Schindler, Hörmann und Bernatzik. "Ob die Bilder noch ausgestellt sind, weiß ich nicht. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie der Sache nachgehen würden und feststellen, ob die Bilder vertragsmäßig ausgestellt sind."

1998 war Edith Neumann das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen worden. In der Laudatio wurde darauf hingewiesen, dass die Geehrte die Bilder der Österreichischen Galerie "unter der Bedingung der permanenten Ausstellung" schenkte – als "sichtbares Zeichen ihrer innigen Österreich-Verbundenheit bis zum heutigen Tag trotz der Odysee, die sie durch den Anschluss miterleben musste".

Es versteht sich leider von selbst, dass die sechs Gemälde nicht im Oberen Belvedere ausgestellt sind. Und es versteht sich leider auch von selbst, dass der Bitte des STANDARD um eine Stellungnahme durch die Direktion bis Redaktionsschluss nicht nachgekommen wurde. (DER STANDARD, Printausgabe, 24./25./26.12.2002)