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... Wenn irgendeiner versuchen würde, es wegzunehmen. Das tut ohnedies keiner. Man kennt sie. Die Frau, die sich alle paar Tage mit einem Burger und drei Bechern Kaffee hereinsetzt - länger, als die 12 Minuten, die man in einem Burgerlokal angeblich verweilt.

Keine Unangenehme. Keine Ungepflegte. Rosa Pulli. Flauschig. Sauber. Gepflegte Hände. Gemachte Fingernägel. Etliche Ringe. Nicht protzig, aber auch nicht billig. Jeans. Gebügelt. Schwarze, ordentlich geputzte Schuhe. Ihr Mantel liegt - ordentlich - auf dem Sessel gegenüber. Das Tuch um ihre Schultern ist beinahe von Hermes, das transparente Sackerl von einer Markendrogerie, gefüllt mit Markenkosmetika. Haarfärbemittel. Am Haaransatz schimmert ein bisserl Grau.

Sie ist nicht wirklich alt. Aber alt genug, dass man ihr die Einsamkeit ansieht. Zumindest, wenn sie mit ihrem Burger und den drei Kaffeebechern hierher kommt. Alle paar Tage. Und ihr Buch aus der Tasche nimmt. Es ist immer das selbe. Seit Wochen. Die Angestellten versuchen, ihr aus dem Weg zu gehen. Einfach weil sie keine Zeit haben: Die Frau will plaudern. Der indisch klingende Name des Tischabräumers etwa ist ein guter Vorwand. Der Mann muss sich über den "Gott der kleinen Dinge" unterhalten. Eher freundlich nickend zuhören. Oder die Thai-Frau mit dem Putzlappen: Die alte Verfilmung von "Der König und ich" war die beste. Bestimmt.

Die spanische Schwester

Der zweite Abräumer trägt einen spanischen Namen auf seinem Schild. Die Frau kann ein paar Brocken. Ihre Schwester, erzählt sie, sei nach Spanien gezogen. Früher habe sie sie oft eingeladen. In den Ferien. Mit ihren Kindern. Vor der Scheidung. Das sei lange her. Ende der 80-er Jahre habe die Schwester aufgehört, auf Briefe zu antworten. Die Kinder melden sich auch nur selten. Eigentlich gar nicht. Der Mann mit dem spanischen Namen muss weiter. Die Frau blättert in ihrem Buch. Ein paar Seiten vor, ein paar zurück. Der Kaffee ist längst kalt.

"Versuchung in Rom" heißt das Buch. Das erzählt die Frau jedem, der sich an einen Nachbartisch setzt. Auch, dass sie einmal in Rom eine Romanze hatte. Vor langer Zeit. Bevor sie Mann und Kinder hatte. Sie war schon lange nicht mehr fort. Weil dort niemand auf sie wartet. Das sagt sie, ohne es zu sagen. Auch, dass es zwischen dort und hier keinen Unterschied gibt. Wenn es ums Warten geht. Die meisten Angesprochenen rutschen auf den Plastiksesseln hin und her. Manche wechseln den Tisch.

Der Burgerfilialmanager kommt. Er setzt sich an ihren Tisch. Der Mann ist müde. "Waren wir schlimm?" fragt die Frau. Im "wir" klingt die Hoffnung mit, doch am Grund des Schlimmseins partizipieren zu dürfen. Ein Stück echtes Leben. Zwar nur geborgt, aber immer noch besser als "Versuchung in Rom." Der Manager winkt ab. "Nur zu viel Arbeit."

Ringsum werden Hamburger vernichtet. Das Publikum wechselt im Viertelstundentakt. Zwei Mädchen, die vorher fluchtartig den Tisch gewechselt haben, brechen auf. Lachend. Ihre Plauderwelt ist voller Parties, jungen Männern die nicht an- oder zurückrufen und TV-Soaps. Eine schaut zurück. "Weißt du was, wir gehen jetzt deine Oma besuchen. Die hat auch niemanden." Die Frau zuckt zusammen. Ertappt. Beinahe hastig sammelt sie ihr Zeug zusammen und bricht auf. Im Radio läuft Cat Stevens. Immerhin nicht die Beatles. An der Tür steht der Manager. "Wir haben auch an den Feiertagen geöffnet", sagt er. "Und Frohe Weihnachten."

NACHLESE

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