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existierte bislang eher im Stillen. Eine Ausstellung soll das jetzt ändern und das visuelle Gedächtnis des Landes ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Auch in der Hoffnung auf Förderer.


Wien - Was in dieser Dimension kaum öffentlich bewusst ist: Gegenwärtig umfassen die fotografischen Bestände der Österreichischen Nationalbibliothek etwa zwei Millionen historische und auch zeitgenössische Bilder. Darunter finden sich beacht- liche 300.000 Vintage Prints, 800.000 Originalnegative - die Mehrzahl davon auf Glasplatte. 27.000 Exponate sind Reproduktionsaufnahmen auf Durchsichtfilmmaterial.

Buch und Ausstellung Im Blickpunkt geben erstmals Einblick in die Qualität der Sammlung, belegen deren Entwicklungsgeschichte und skizzieren den gegenwärtigen Forschungsstand. Wobei "Blickpunkt" nicht nur den Fokus der Fotografen auf ihre Motive benennt, sondern die Sammlung selbst in jenen einer breiteren Öffentlichkeit rücken will. Auch deshalb, weil eine nachhaltige Konservierung dieser Schätze Summen verschlingt, die das Budget allein nicht hergibt. Mit dem Hinweis, dass zweckgebundene Spenden an die Fotosammlung der Nationalbibliothek steuerlich absetzbar sind, wird daher um "Foto-Paten" geworben.

Begonnen hat die Sammlungsgeschichte mit den Habsburgern. Die Kaiserfamilie begann um die Mitte des 19. Jahrhunderts Fotos zu sammeln und in ihre Familienbibliothek (Fideikommiss) einzubringen. Diese wurde 1921 in die Nationalbibliothek integriert. 1939 wurde mit der Gründung des "Bildarchivs" eine zentrale Bilddokumentationsstelle etabliert, deren Tätigkeit ausschließlich im Sammeln von Negativen besteht. Den Kern der Sammlung bilden bis heute nicht einzelne Spitzenwerke, sondern umfassende Werkgruppen, die sich aus der Übernahme von Nachlässen, Archiven und privaten Sammlungen ergaben.

Seit 2001 ist der Zettelkatalog - nach Sachschlagwörtern, Autoren und Topografie gereiht - auch via Internet abrufbar. Da die Aufgabe der Österreichischen Nationalbibliothek vorrangig der Wertung der Bildinhalte gilt, die Bibliothek sich zudem - auch in ihrem Ausstellungsprogramm - nicht als Museum der Künste versteht, spielen ästhetische Kriterien in der Gliederung der Sammlung keine entscheidende Rolle. Vielmehr steht der Aspekt "Speicher", die Anlage, Aufarbeitung und Fortführung eines kollektiven Bildgedächtnisses an erster Stelle des Arbeitsprofils der Fotosammlung.

Ein kurzer Parcours durch Buch und Präsentation könnte so verlaufen: Von Ludwig Angerers Aufnahme Die Allerhöchste Kaiserfamilie von 1859, über Madame d'Oras Porträts von Alban Berg oder Karl Kraus aus 1908/9 und Edwar J. Streiches zeitgleichem Vier-Farben-Halbtondruck Im Hausboot oder Heinrich Kühns Studien auf Autochromplatten zu Lucca Chmels stilbildenden S/W-Aufnahmen österreichischer Architektur der 60er-Jahre.

Und weiter mit den "Reportern" Erich Lessing, Harry Weber, Friedrich Klinsky und Kurt Aigner hin zu Ansichten der Keimzellen der Wiener Kunstszene. Barbara Pflaums Walter Pichler am Telefon (1973). Lisl Ponger: Peter Patzak im Film His Bag von 1969. Die Tradition des Künstlerporträts setzt Herbert Fidler mit einem Abbild des Zeitgenossen Edgar Honetschläger fort - einem Digitaldruck auf Farbpapier.

Ein ganzes Kapitel - "Dem Augenblick Dauer verleihen" - ist dem Sportfotografen Lothar Rübelt gewidmet: Der Austria-Tormann Lohrmann küsst den Ball , Hans Stuck auf Daimler oder das Titelbild des Buchs Mädy Epply und Sepp Staudinger bei einem Doppelsprung vom 10-Meter-Turm. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.12.2002)