Wien - Die Aschermittwoch-Rede Jörg Haiders im Jahr 2001 sorgte für Empörung. In Anspielung auf den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, hatte Haider gemeint, er verstehe nicht, wie einer der Ariel heiße, so viel Dreck am Stecken haben könne. Damit habe Haider sich offen des Antisemitismus bedient, warfen ihm Kritiker vor. Haider selbst wies dies zurück. Das Urteil von zahlreichen Wissenschaftern fällt anders aus: Haider habe antisemitische Codes bewusst eingesetzt. Und: Dieser Antisemitismus entspringe seiner "inneren Überzeugung". Anton Pelinka und Ruth Wodak haben diese Analysen unter dem Titel "Dreck am Stecken" nun im Czernin-Verlag publiziert.

Haiders Rede hatte ein gerichtliches Nachspiel. Dafür wurden etliche Gutachten produziert, die seine Rhetorik auf ihren antisemitischen Gehalt untersuchten. Diese Arbeiten von Germanisten, Linguisten, Historikern und Politologen bilden die Grundlage für die im Buch versammelten Texte. Sie versuchen am Beispiel von Haiders Rede herauszustellen, wie "der Jude" konstruiert und politisch instrumentiert werden kann - vor dem Hintergrund eines tradierten Antisemitismus in Österreich.

Die Diskursanalytikerin Ruth Wodak seziert gemeinsam mit Martin Reisigl die Struktur, den Kontext und das Echo der Rede. Sie hat mit dieser Methode bereits den teilweise verdeckten Antisemitismus in der Waldheim-Debatte offen gelegt ("Wir sind alle unschuldige Täter."). Haiders Rede, so Wodak und Reisigl, spielt auf vier judenfeindliche Stereotypen an, nämlich auf jene des "jüdischen Vaterlandsverräters", der "jüdischen Weltverschwörung gegen Österreich", des "schmutzigen, unreinlichen Juden" und des "intriganten, in illegale Machenschaften verwickelten jüdischen Geschäftsmannes".

Anton Pelinka kommt in seinem politikwissenschaftlichen Gutachten ebenfalls zu einem eindeutigen Schluss. Haider habe sich des Antisemitismus bedient und dabei eine zentrale These der Antisemitismusforschung bestätigt. Er habe einen Juden "benutzt", um sich auf dessen Kosten zu profilieren, um sich zu stilisieren und darüber die eigene Identität zu stärken. Antisemitismus sagt also nichts über Juden, sondern nur über den Wahn der Antisemiten etwas aus. Sie erfinden sich im Notfall "ihre" Juden. Haiders Rede, so Pelinka, "muss als Prototyp antisemitischen Verhaltens in der Zeit nach dem Holocaust gesehen werden".

Ist Haider nun tatsächlich Antisemit oder bedient er sich des Antisemitismus nur aus (wahl)taktischen Gründen? Heribert Schiedel und Wolfgang Neugebauer stellen in ihrem Beitrag die These auf, dass der Antisemitismus bei Haider "Ausdruck innerster Überzeugung" sei. Sie nennen drei Quellen, aus dem er sich speise: die Tradition des völkischen Nationalismus (vermittelt über Familie und Burschenschaften), die Abwehr von Schuld und Erinnerung (bezogen auf die Vernichtung der Juden) und die Inszenierung als autoritärer Rebell. In allen drei Strängen spiele der Antisemitismus "als Alltagsreligion" eine zentrale Rolle. Die Autoren führen eine Reihe von Beispielen an, wie Haider und die FPÖ darin verwoben seien.

Brisant ist auch das Ergebnis eines Vergleichs der Äußerungen Haiders gegenüber Muzicant mit antisemitischen Argumentationsmustern der Nationalsozialisten. Nach der Shoah waren judenfeindliche Äußerungen weitgehend tabuisiert. Antisemiten verhalfen sich mit Codes und Anspielungen, andererseits trat Judenfeindschaft gerade im Zusammenhang mit den Folgen der Shoah auf (sekundärer Antisemitismus). Alexander Pollak und Nina Eger kommen in ihrem Beitrag zum Schluss, dass Haiders Sager gegenüber Muzicant auch Analogien zu genuin nationalsozialistischen judenfeindlichen Inhalten, Argumentationen und Begriffen aufwiesen.

Die weiteren Analysen beschäftigen sich mit dem Vor- und Umfeld der "Aschermittwochrede" (Sieglinde Rosenberger und Christian Stöger), mit der Rhetorik antijüdischer Vorurteile (Richard Mitten) und mit der Bedeutung des Namensspiels im Antisemitismus (Dietz Bering). (APA)