Bild nicht mehr verfügbar.

Peter Altenberg, hier 1907 im Cafe Central

Foto: APA/HISTORISCHES MUSEUM DER STADT WIEN

Sein Leben war antibürgerlich. Sein Schreiben feierte die Freiheit der kleinen Form. Aber Peter Altenberg wird immer noch als "Kaffeehausliterat" verharmlost. Viele Mystifikationen wären noch aufzubrechen: Eine Ausstellung setzt erste Schritte.

Wien – Peter Altenberg, 1859 als Sohn des wohlhabenden Kaufmanns Moriz Engländer geboren und bis zu seinem Tod im AKH 1919 erfolgreich ein "Schnorrer" (Selbstbeschreibung) geblieben, ist schon lange zu einem touristischen Objekt verharmlost worden. Gezähmt wie die Lippizaner, reduziert auf den Typus des schrulligen Spaziergängers, der seine Tage im Bett und seine Nächte in Bars verbrachte. Dazwischen Minnesang und 13 Bücher.

Antibürgerlich, aber in den besten bürgerlichen Kreisen verkehrend, in engem Kontakt mit der ruhmsteigernden Öffentlichkeit zwischen Karl Kraus, diversen Blättern und Adolf Loos. Wenn – wie jetzt im Jüdischen Museum – eine Peter-Altenberg-Ausstellung gemacht wird, so wäre es wichtig, Klischees aufzubrechen. Was aber nur ansatzweise geschieht.

Zum Beispiel: Peter Altenberg war ein Kinderschänder. So direkt will das die Ausstellung aber auch nicht zeigen. Insofern ist sie sehr österreichisch ("nur nicht weh tun"). Das Verdrängte wird dennoch sichtbar, obwohl die Koordinatoren – das Ehepaar Victoria und Heinz Lunzer – es lieber im Verschwommenen ließen: Dem Peter Altenberg seien, so Heinz Lunzer keusch im Ausstellungkatalog (Residenz Verlag), "gelegentlich gewisse Formen des Geschlechtsverkehrs angenehm erschienen": Welche genau und wie weit reicht die Toleranzgrenze bei "angenehm"?


Dirty old man

Zum Glück hat das Museum aber einen guten Architekten, Bernhard Denkinger, beigezogen, und der spricht Klartext: "Altenberg war ein ,dirty old man'." Deshalb bekämpft der Architekt die Verschleierungstendenz durch die deutliche Präsentation der Indizien: Im Raum, der Altenbergs Frauenbeziehungen gewidmet ist, hängen die Aktfotos kleiner Mädchen besonders deutlich in Sichthöhe. Angesichts eines wie für eine Palmers-Werbung posierenden Mädchens wirken Begriffe wie "angenehm" unangenehm.

Die Ausstellung enthält viel Sprengstoff. Eine Konzeption, die positivistisch sammelt, entschärft aber. Obwohl: Einige Fundstücke sind sehr wichtig. So die Fotoalben, die Altenberg anlegte: Natur kontra Großstadt in seinem "Semmering-Album 1912". Oder Notizhefte: Altenberg trug bei Ausgaben nicht die Ausgaben ein, sondern den Wertzuwachs, den die Geldausgabe in seiner Sammlung bewirkt.

Wichtig auch dieses Fundstück: Peter Altenberg nahm in all seine Hotelzimmer eine anwachsende Anzahl von Fotos mit. Aber von seiner Familie nur solche der verständnisvollen Schwester und des Vaters. Erstmals ist ein Foto des Bruders Georg – der den Dichter 1910 in die Irrenanstalt steckte – aufgetaucht.

Positivismus genügt nicht mehr für eine moderne Ausstellung. Viel stärker müssen Probleme betont werden. Das geschieht hier meist allein über die Architektur. Das Problem "Alkohol" etwa. Altenberg ließ sich auch in Sanatorien extra Bier liefern, sein Rekord lag bei 40 Flaschen täglich. Also stehen in einem Raumdurchgang Bierflaschen. Gut so, dieser Eingang in die Unterwelt.

Gut auch diese Entdeckung: Peter Altenberg trieb seine verzweifelte Assimilation so weit, dass er behauptete, schon in seinem Körper sei er nicht "jüdisch", sondern "christlich". Was ist nun ein "christlicher" Körper? Und in welchen geistesgeschichtlichen Kontext wäre so eine Aussage zu stellen?

Zum Beispiel in denjenigen Otto Weiningers. Dann wäre man wieder beim verbrämten oder offenen Frauenhass. Und noch tiefer im Antisemitismus (Verwandte Altenbergs wurden 1941 und 1942 deportiert): Die verachteten jüdischen Körper wurden im kaiserlichen Wien durch die Quartiere gejagt und verspottet. Auch hier greift wieder der Architekt ein: Gänge durch die Stadt versucht er anzulegen, Gänge in die Nacht, auch in die Nacht der Geschichte.
(DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2003)