Der bekannte antike Mythos von Medea wird von Autorin und Regisseurin Tina Leisch in ein zeitgenössisches kriminelles Milieu transferiert.
Fabio Peissl

Schwarzau/Neunkirchen – Tina Leisch errichtet ihr Theater an vordergründig nicht dafür vorgesehenen Orten. Spätestens seit ihrer mit Hubsi Kramar verantworteten Inszenierung von George Taboris "Mein Kampf" im Männerwohnheim Meldemannstraße, wofür sie einen Nestroypreis erhielt, ist sie bekannt für eine Kunst, die sich am realen Leben entzündet, an Biografien, an der Geschichtlichkeit eines Ortes.

Im Fall von "Medea bloß zum Trotz" sind es Häftlinge der Frauenstrafvollzugsanstalt Schwarzau sowie der Justizanstalt für männliche Jugendliche Gerasdorf, die ihre Strafen absitzen und nun am Theater abhandeln, was sie selbst betrifft: die Verfehlung, Bedrängnis, Zerrüttetheit, die Tat. Kein neues Terrain für die Regisseurin: Bereits im Vorjahr hat sie mit Insassen der Jugendstrafvollzugsanstalt Favoriten Theater gespielt ("Date Your Destiny") und kennt die Produktionsbedingungen. Einzige Besuchsbedingung: Reisepass.

Den antiken Mythos von Medea, der tapferen Kämpferin, der unerschrockenen Ausländerin unter den Griechen, der geschassten Ehegattin und schließlich Kindsmörderin transferiert Leisch mit Co-Autorin Alma Hadzibeganovic in ein zeitgenössisches kriminelles Milieu:

Mad Girl (Medea) verliebt sich in einen mittelprächtigen Gangster (Jason, englisch ausgesprochen), der sie nach begangener Tat (Diebstahl des Goldenen Vlies') hängen lässt und an seiner statt der Justiz ausliefert. Eine von Bildern prallvolle Sprache erhebt die Story dabei über sich und ihre aus Zuwandererwienerisch und ungeschöntem Gossenslang legierte "Kanak Sprak" hinaus. Im rauschhaft bunten Tüll der Frauen (Kostüme: Sandra Sekanina), am blutroten Licht und an den Lassoschwüngen, die das Vlies (in Wahrheit ein Bettvorleger) triumphal über den Köpfen kreisen lassen, mag man die Verwegenheit dieser Gesellschaft lesen.

Der unmittelbaren Reflexion entkamen bei der Premiere im Barockschloss Schwarzau weder die dafür zuständige Bundesministerin noch die Insassinnen selbst. Sophia, Fabienne, Chantal, Julia, Miranda, Sammy sowie Jarret, Justin, Big Joe, Joker und Tatar stellten mit ihrer Laiendarbietung zugleich auch sich selbst und ihre kriminelle Vergangenheit zur Diskussion.

Die intendierte Konfrontation der realen Personen mit dem Figurenpersonal erzeugt Beklemmung – immerhin ist eine "Schauspielerin" des versuchten Mordes angeklagt –, ist aber mehr als ein koedukatives Sozialprojekt. Schon allein der Gedanke, hinter den Mauern eines Gefängnisses eine "moralische Anstalt" zu behaupten, ist feinste Politik. (Margarete Affenzeller/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.11.2007)