"Aphrodite Superstar", Credit: Pornfilmfestival Berlin 2007
Pornfilmfestival Berlin 2007/Katalog
"Sailor's bride", Credit: Pornfilmfestival Berlin 2007
Pornfilmfestival Berlin 2007/Katalog

"Unterhaltsam, horizonterweiternd, lustig, schamlos, verblüffend, sexy" - so lautete das Credo des zweiten Pornfilmfestivals, das Ende Oktober in Berlin stattfand. Auf dem Programm standen rund 100 Filme aus mehr als 20 Ländern, rund ein Drittel der präsentierten Pornoproduktionen stammte von Regisseurinnen, die das Genre aus einer feministischen Perspektive neu zu positionieren versuchen.

Kant-Kino, Berlin Charlottenburg. Zum Auftakt des zweiten Pornfilmfestivals in Berlin wird klar: Nicht überall, wo "Porno" draufsteht, ist auch tatsächlich "Porno" drin. Programmatisch wird das Festival mit einem Dokumentar- und Kurzfilm eröffnet, die einen ernüchternenden bzw. ironischen Blick auf die Sexindustrie werfen. Während Eva C. Heldmann in ihrer Dokumentation "5 Sex Rooms und eine Küche" den Arbeitsalltag in einem von Frauen betriebenen privaten Bordell in einem Frankfurter Wohnhaus begleitet, nimmt "Pornographic Apathetic" von T. Arthur Cottam die sinnentleerten Sex-Dialoge bekannter Porn-Settings (2 Männer, 2 Frauen, 1 Pizza) unter die Spaß-Lupe.

Wille zum Diskurs

Auf der Bühne stehen die FestivalkuratorInnen Jürgen Brüning, selbst Filmemacher und Produzent schwuler Pornos, und Manuela Kay, Redakteurin des lesbischen Magazins "L-Mag" aus Berlin. "Ich weiß noch immer nicht, was Pornografie eigentlich ist", erklärt Brüning und spielt damit auf den Diskussionsraum an, den das Pornofilmfestival Berlin eröffnen soll. Der "Wille zum Diskurs" ist indes unübersehbar: Mit seinem umfassenden Rahmenprogramm - von Ausstellungen über Workshops und Diskussionsveranstaltungen bis hin zu Performances - und seinem hohen Anteil an Kurzfilmen (z.B. der jüngste Output von Bruce LaBruce, "Give Piece of Ass a Chance"), die problemlos als „Arthouse" durchgehen würden, und Dokumentationen will das Festival Pornos aus der "Schmuddelecke" holen und in eine öffentliche - und damit auch politisierte - Auseinandersetzung überführen. Doch vom "Hype" des Porno-Themas der letzten Jahre, der auch von zahlreichen Diskussionen im akademisch-theoretischen Feld begleitet wurde, ist im Kant-Kino eher wenig zu spüren - der Kinosaal ist bei der Festivaleröffnung nur zu zwei Drittel gefüllt. "Porno & Diskurs" scheint doch nur ein Minderheitenpublikum anzusprechen, wenngleich dieses vom "aufgeschlossenen" Hetero-Seniorenpaar bis zur queeren "Post Porno"-Theoretikerin reicht.

Von PorNo zu She-Porn

Während auf der einen Seite Alice Schwarzer und die EMMA in Deutschland mit ihrer dritten "PorNo"-Kampagne die "Pornografisierung von Medien, Mode und Kultur" kritisieren und eindeutige Zusammenhänge zwischen Pornokonsum und sexueller Gewalt herstellen, präsentiert das Pornofilmfestival Berlin auf der anderen Seite vor allem Positionen an den "Rändern" der Industrie, die vergleichsweise wenig mit dem gegenwärtigen kommerziellen Porno-Angebot zu tun haben. Stattdessen sind diese durch ihr Interesse an den Möglichkeiten "alternativer" Darstellungen und Perspektiven und an (ethnischer, sexueller) Diversität gekennzeichnet. Insbesonders feministische und lesbische/queere Porno-Regisseurinnen versuchen, Pornografie als Medium der Kritik an herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu positionieren und sie als Experimentierfeld für alternative Identitätsentwürfe zu begreifen. Rund 30 Prozent der auf dem Festival gezeigten Produktionen stammten von Regisseurinnen - ein höherer Anteil als auf der Berlinale, wie Jürgen Brüning und Manuela Kay nicht ohne Stolz vermerken.

Sex ist Politik, lautete eine Erkenntnis aus den feministischen Debatten der 70er Jahre. Pornografie als Genre möchte vom Sex handeln. Sind Pornos demnach ein Politikum? Als das "Zusammenfallen von sexueller Fantasie, Genre und Kultur in einem erotisch organisierten visuellen Erlebnis" (Beverly Brown) ist Pornografie auf mehreren Ebenen an Fragen von Macht und Subjektivität gekoppelt: Wer definiert, was Sex/Erotik ist (und den Unterschied dazwischen)? Wer organisiert das "visuelle Erlebnis" für wen, und in welcher Form? Und schließlich: Wen und was sehen wir wirklich, wenn wir einen Porno gucken?

Diesen und ähnlichen Fragen geht auch Marita Nehers Dokumentation "Die Pornografinnen" („The She-Porn Makers") nach, die beim Pornfilmfestival ihre Weltpremiere feierte. Bei der anschließenden Panel-Diskussion "Good Porn For Good Girls" im Kant-Kino waren neben den in der Doku porträtierten Filmemacherinnen weitere Porno-Regisseurinnen aus Deutschland, Spanien, Australien und den USA anwesend, die von den Arbeits- und Produktionsbedingungen, wie sie im derzeitigen Pornobusiness für Filmemacherinnen vorherrschen, sowie ihren Strategien einer autonomen Bildproduktion, berichteten.

"Den Mainstream infiltrieren"

Unter den Diskutantinnen am Podium waren u.a. die Regisseurinnen/Fotografinnen Audacia Ray aus New York, Petra Joy aus Brighton, Ovidie aus Paris, Jessica Grenier aus Melbourne und Erika Lust aus Barcelona anwesend. Die meisten arbeit(ete)n selbst als Porno-Darstellerin oder Model. Sie alle beziehen sich klar auf die Frauenbewegung, einige kommen auch aus dem akademischen Gender-Studies-Kontext. Trotzdem gingen die Meinungen darüber, was denn nun einen "feministischen Porno" bzw. "Pornos für Frauen" ausmacht und wie sich solche definieren, deutlich auseinander: "Weil ich mich als feministisch definiere, fallen meine Filme nicht automatisch in die Kategorie 'Pornos für Frauen'. Ich mache Pornos für Frauen und Männer", erläuterte beispielsweise Audacia Ray, Regisseurin von "The Bi Apple", ihren Zugang und kritisierte essentialistische Zuschreibungen à la "Pornos von Frauen sind gut, männliche Pornos hingegen per se schlecht": "Natürlich kritisiere ich die Rolle, die Frauen in Pornos üblicherweise zugeschrieben wird, nämlich als Objekt männlichen Begehrens. Aber auch die männlichen Rollen sind beschissen."

"The Bi Apple" wurde von "Adam & Eve", einer der größten Pornounternehmen in den USA, produziert, die durch Rays Blog "Waking Vixen" auf die Filmemacherin aufmerksam wurde. "The Bi Apple" sei ein "Non-Mainstream-Film für ein Mainstream-Unternehmen". Und ein Film, der sich zudem überraschend gut verkaufte: Noch immer sind „Man on Man"-Action (männliche Bisexualität stellt in herkömmlichen Pornos noch immer das größte Tabu dar) und Frauen mit Strap-On-Dildos, die Männer penetrieren, in Hetero-Pornos rar - zumal aus der Subjektposition und unter dem Blick einer Schwarzen Frau. Überraschend gut waren die Verkaufszahlen auch deshalb, weil Audacia Ray sämtliche PR-Arbeit selbst leisten musste, denn Adam & Eve stellte keine Budgetmittel für Werbung zur Verfügung. Rays Strategie lautet: Den Mainstream infiltrieren so gut es geht. Der Preis dafür ist hoch: Sämtliche Rechte am Film- und Bildmaterial liegen bei Adam & Eve.

Independent Porno

Die in England ansässige deutsche Fotografin und Regisseurin Petra Joy, die all ihre Filme selbstständig realisiert (auf dem Pornfilmfestival mit u.a. "Sailor's Bride" und "Eye Candy" vertreten), betont im Gegensatz zu Audacia Ray die absolute Notwendigkeit, unabhängig zu produzieren und sieht in den von Frauen gedrehten Pornos echte Alternativen zum herkömmlichen kommerziellen Angebot, zumal sie auch humorvoller mit Sex umgehen würden. Von Joy wird auch das Etikett "Porno" grundsätzlich in Frage gestellt - die Klassifizierung als "Hardcore" ist von den länderspezifischen gesetzlichen Definitionen abhängig und erfolgt mitunter ganz unfreiwillig. Doch eben das Label "Hardcore" hat deutliche Auswirkungen auf die Vetriebsstruktur, etwa ob der Film frei über das Internet verkauft werden darf oder nur in speziell lizenzierten Sex-Shops, um jugendschutzrechtliche Bestimmungen zu erfüllen, wie dies etwa in Großbritannien der Fall ist. Die ökonomischen Rahmenbedingungen für unabhängige Filmemacherinnen sind - wie auch außerhalb der Pornoindustrie - kritisch, weshalb die meisten ihre Arbeiten auch auf Printmagazine und TV ausweiten.

Porno-Darstellerin und Regisseurin Ovidie aus Paris, die auf dem Festival ihren Film "Les Concubines" präsentierte, war die einzige in der Runde, die von ihrer Arbeit im Sex-Business auch leben kann - als full-time Angestellte des französischen TV-Sender "Canal+". Zwar ist Ovidie damit nicht unabhängig, doch müssen andere Filmemacherinnen wie die aus Schweden stammende und in Spanien lebende Regisseurin Erika Lust ("Five Hot Stories For Her"), die auf dem freien Markt agieren, mit dem Drittel des Budgets auskommen, das männliche Kollegen von den Produktionsfirmen zur Verfügung gestellt bekommen. Zudem habe das Fernsehen andere klare Vorteile: Es wird Safer Sex betrieben (die Darsteller tragen verpflichtend Kondome) und es gibt keine Cum-Shots, also männliche Ejakulationen, in den Mund der Darstellerinnen - ein Umstand, der in kommerziellen Hetero-Pornos zum Standard-Repertoire zählt.

Die Fotografin Jessica Grenier aus Melbourne, die u.a. Content für die Webseiten beautifulagony.com produziert, erläutert am Beispiel der verwandten Internetseite abbywinters.com mögliche alternative Darstellungsweisen und Gestaltungsmöglichkeiten von Pornos: "No cuts, real time, all natural pubic hair, no plastic surgery." Angesichts des normierten "Pornstar"-Looks in Mainstream-Pornos nehmen Natürlichkeit und Authentizität im „Alternative Porn" oder "Indie-Porn", zu denen auch die genannten Produktionen der "She-Porn"-Macherinnen zählen, einen großen Stellenwert ein.

Letztlich ist es der Dokumentarfilm "Die Pornografinnen", der einen weiteren Hinweis darauf gibt, was einen "guten Porno" ausmacht: "Es braucht faire Arbeitsbedingungen für die Darstellerinnen, das heißt ordentliche Arbeitsverträge und Versicherungsschutz", erklärt eine Pornodarstellerin im Film. "Gut ist ein Porno dann, wenn er nicht nur die Seherinnen erregt, sondern auch Rücksicht auf die Lust der Darstellerinnen nimmt." (Vina Yun, dieStandard.at, 4.12.2007)