Ich habe mit 55 Jahren darüber nachzudenken begonnen, dass ich älter werde, zuvor überhaupt nicht. Ich denke, ab 55 ist das Alter schon egal. Man schaut jeden Tag in den Spiegel und sieht aus wie am Tag zuvor. Mit 39 habe ich noch ein Kind bekommen, das wirkt verjüngend. Doch 60 ist schon eine blöde Zahl, das ist ein Schreck, vor allem wegen der Pensionierung. Nach einem fremdbestimmten und geregelten Tagesablauf ist man auf einmal wieder Herr seiner Zeit. Bei mir war der Übergang nicht schwierig, da mir meine Töchter einen Hund geschenkt haben. So war ich wieder fremdbestimmt und mein Tagesablauf reglementiert.
Glücklicherweise habe ich, statt dem Lehrer-Konferenzzimmer, wo man sich trifft, eine Gruppe von Hundebesitzern im Türkenschanzpark gefunden, die ich täglich treffe. Das ist natürlich auch wieder ein Klischee: die alte Frau mit dem Hund. Aber er befriedigt den Pflegetrieb und füllt eine gewisse Lücke, die man als Frau doch empfindet, wenn sich familiäre Dinge auflösen. Auch zwingt mich der Hund, an die frische Luft zu gehen und mich zu bewegen. Sonst würde ich vermutlich den ganzen Tag am Sofa liegen und lesen.
Als mein Mann in Pension gegangen ist, habe ich das Zusammenleben nicht mehr als reibungslos empfunden. Er ist nächtens spazieren gegangen und hat um zwei Uhr früh zu kochen begonnen. Ich bin dann ausgezogen. Wir haben aber ein freundschaftliches Verhältnis. Wenn man älter wird, werden die Eigenschaften immer ausgeprägter, und man will nicht dauernd in seinen Gewohnheiten unterbrochen werden. Ich sehe meinen Mann groteskerweise öfter als vorher. Auch meine Töchter sehe ich oft, sie wohnen nah bei mir, wie die Frösche um einen Teich.


Nach der Pensionierung fallen manche in ein schwarzes Loch. Man muss schauen, wo man neue Impulse her bekommt. Im Alter bekommt man selten neue Freunde. Ich habe mit den Hunde-Leuten welche gefunden, und das ist ein Impuls, der mir viel Spaß macht. Frauen definieren sich bereits in der Jugend oft über äußerliche Dinge. Ich habe mich nie in dem Sinn als Frau gefühlt, dass ich durch Aussehen und Koketterie jemanden gewinnen konnte. Wenn dir das aber ein Wert ist, dann geht was verloren, wenn man nicht mehr hübsch und jung ist.


Es gibt eine Million Frauen über 60 in Österreich. Wo sind die alle? Sie sind gesellschaftlich und als Zielgruppe ignoriert, dabei wäre das eine Nische. Wahrscheinlich, weil die Menschen, die Wirtschaft betreiben, Männer sind, und froh, wenn sie keine alten Weiber sehen. Wenn das aber so viele sind, sollten sie eigentlich eine Lobby sein, die etwas durchsetzen kann. Aber eine Altweiberpartei, wer will die schon anführen? Per definitionem würden sich alle lustig machen, und das wäre schon an der Grenze der Peinlichkeit.

Wenn alte Frauen nicht hilflos auf der Straße zappeln, bemerkst du sie nicht. Sie sind beige gekleidet und gehen beige durch die Welt und fallen nicht weiter auf. Sie könnten natürlich wehklagen, aber sie sind von jung an gewohnt, ihre Kinder aufzuziehen und Dinge zu tun, die sie überfordern. Darum hauen sie auch nicht auf den Tisch und sagen, was sie brauchen.

Frauen werden immer unauffälliger, je älter sie werden. Die schrillen Alten will auch keiner. Wenn man alt wird, hat man den Mund zu halten, beige und ruhig in der Ecke zu sein. Mir fällt gar kein Beispiel einer ältlichen Dame ein, die überzeugt. Es muss doch vorbildhafte ältere Damen geben. Hillary Clinton ist zu jung. Christiane Hörbiger ist schon eine Spur zu schrill und klischeehaft. Barbara Frischmuth könnte man bewundern. Würde sie sich als Bürgermeisterin aufstellen, würde man sie wählen, aber sie ist ein sehr zurückgezogener Mensch, niemand, der sich hineindrängt. Sonst fällt mir niemand ein. Eigentlich erschreckend. Barbara Rett muss sich beeilen, älter zu werden. Sie wäre ein Typ dafür.

Wenn ältere Frauen toll sind, werden sie gleich beneidet, und die Leute werden ekelhaft zu ihnen. Bei graumelierten erfolgreichen Männer sagt man, ‚Oh der ist arm, der hat so viel zu tun und ist überlastet‘, bei Frauen sagt man, 'die muss sich in den Mittelpunkt stellen'. In dem Moment, in dem sich eine Frau nicht ruhig in der zweiten Reihe aufhält, wird sie als komische Figur dargestellt.

In dem Moment, wo ich frage, wo ich meine Schlüssel hab liegenlassen, sagen meine Töchter: „Mutter, du bist nicht 90." Da muss ich mich zusammenreißen. Die Kinder wollen nicht, dass man alt wird, weil sie Angst haben, Verantwortung für einen übernehmen zu müssen. Sie werden rasend, wenn ich sage, dass ich etwas nicht mehr kann. Die Mutter hat immer zu können. Und man will auch nicht, dass die hilflose Alte dann übrigbleibt. Das verstehe ich.

Ich habe immer vorgehabt, mich im Altersheim anzumelden. Ich stelle mir das lustig vor. Man spielt Karten, und es ist wie in einer Kuranstalt. Früher war das ein Abschiebgleis für Gagagreise, das ist es lange nicht mehr. Andererseits, solange man sich selbst versorgen kann, hat man eine gewisse Selbstbestätigung. Ich glaube, wenn man die abgibt, wird man schneller alt. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr merke ich, dass ich zufrieden bin mit meinem Leben. Es ist schon lustig, wenn man nicht mehr so gehetzt durchs Leben taumelt. Im Februar werden ich Großmutter, darauf freue ich mich. Dafür muss ich mich jetzt fit halten. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, ALBUM, 5./6.1.2008)