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Ein Paar mit Vergangenheit, aber ohne Zukunft: Johanna Wokalek und Nicholas Ofczarek in "Motortown".
APA/ROLAND SCHLAGER

Wien - Die Bilder vom Krieg sind unsichtbar. Man sieht nichts davon. Denn Danny (Nicholas Ofczarek) trägt sie in sich. Der Heimkehrersoldat in Simon Stephens Motortown, ein Woyzeck des globalen Zeitalters, kommt nach Jahren im Irak zurück in seine englische Heimat Dagenham, heute ein Scherbenhaufen. Nur alte Reifen und rostige Felgen erinnern an die in dieser Gegend längst vergangene Zeit der Werktätigkeit, als eine Autofabrik noch 37.000 Menschen Arbeit und Wohnung bot.

Aus allen Ritzen dieser von Labour & Co verlassenen Gegend dröhnt die Zukunftslosigkeit: graue Wände, ein umgefallener Stuhl, zwei hochnervöse Menschen sehen einander an. Die penible und mit allen Wassern der Sparsamkeit (in den Bewegungen) gewaschene Schauspielerinszenierung von Andrea Breth folgte bei der österreichischen Erstaufführung am Donnerstag im Akademietheater dem bilderlosen, konstant geatmeten Schrecken des Textes. Am Ende wird ein Mord stehen, und man weiß, warum.

Im vermeintlichen Friedensterritorium der Daheimgebliebenen, in dem Mittelstandsgutmeiner (Andrea Clausen und Udo Samel als abgründiges Swinger-Paar) sich zu Antikriegsdemos einfinden, wo die Terrorangst dem Waffenhändler (Jörg Ratjen) in die Hände spielt und wo die Exfreundin (Johanna Wokalek) leider in der Zwischenzeit einen anderen gefunden hat, hier taugt ab einem gewissen Punkt für den Veteranen nur mehr das Kriegshandwerk. Danny foltert und tötet einen Teenager.

Wie war's denn?

Im nach hinten klaffenden, mit Scherben bedeckten Niemandsraum von Bühnenbildnerin Annette Murschetz hechtet ein kurz geschorener, an den Armen tätowierter Nicholas Ofczarek im "Arsenal"-Trainingsteil (Kostüme: Sabine Volz) soldatisch in den Stand, um seinem mit Hasenzähnen und buntgestreiftem Bademantel antipodisch drapierten autistischen Bruder (den Markus Meyer vorzüglich spricht), kurz von "da unten" zu berichten. "Wie war's denn? - "Kein Problem."

Die Wiederbegegnungen in entfremdeter Gesellschaft, in der Burkas im Straßenbild wie Mahnmale vor die Augen wandern, sie deutet Breth unter Zuhilfenahme von Bert Wredes klirrender Musik in eiskalten Albtraumschüben.

In unberechenbaren Zeiten bricht das Unberechenbare aus den Körpern. Dafür ist Ofczarek der Mann. Ein Schauspielerkrieger, der mit unvergleichlichem Einsatz des Leibes auf unerhört knappem Spielraum dem schmählichen Druck seiner wiedergewonnenen Welt standzuhalten versucht. Sein unbrauchbar gewordener Soldatenkörper tippelt nervös um die schon längst an einen anderen verlorene Braut Marley (Wokalek) herum. Fordernd, doch auch sanft, verzweifelt und schutzlos hoffend. Ofczarek trägt das alles in sich. Er vermag es - nicht nur, aber besonders in den Szenen mit einer ebenso famosen Wokalek -, diesen Danny in seiner tief sitzenden Liebe zu zeigen. Wer liebt, der tötet.

Und da macht Breth doppelt klar: Der Krieg, das sind vielleicht doch nicht nur wildgewordene Monster, die im Ausnahmezustand selbstvergessen vorgehen. Der Krieg beginnt schon dort, wo der Mensch am bloßen Menschsein gehindert wird.

Dort, wo ein pädophiler Waffenhändler (Wolfgang Michael) auf der Bierkiste sitzt, sich die fettigen Haare bedeutungsvoll aus der Stirn streift und philosophisches Zeug über die Lippen würgt, ist der Rand des Abgrunds schon erreicht: Lackaffen im Friedensgewand. Eine Szene, die ob der Eigenshow Michaels aber ein wenig eingebrochen ist.

Der sonst makellose und von einem tapfer durch die prekäre Opernballverkehrslage geströmten Publikum heftig beklatschte Theaterabend ist zugleich die letzte Arbeit Breths am Burgtheater unter Bachler. Motortown wird ihre Meisterwerke Emilia Galotti oder Don Carlos nicht überragen. Es bleibt aber schlicht bemerkenswert, wie die auf Klassiker festgeschriebene Künstlerin schwungvoll die Formate wechselt. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, Print, 2./3.2.2008)